Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
wahrhaftig nicht sein.«
»Fasse dich, liebes Kind«, beruhigte sie Mrs. Dayton, »gewiß herrscht hier noch irgendwo ein Mißverständnis. Marie Hawes, die Mr. Hawes erst gestern morgen auf seiner Plantage verlassen hat –«
»Liegt jetzt krank, halb wahnsinnig in Mr. Smarts Hotel in Helena«, unterbrach sie Tom seufzend. – »Wollte Gott, ich hätte mich wirklich geirrt; – doch das alles ist nur zu wahr, zu fürchterlich wahr.«
»Ich muß hin, – ich muß sie sehen!« rief Adele. – »Komm, Hedwig! – Nicht wahr, du begleitest mich?«
»Gewiß, Adele; es wäre mir sogar lieb, wenn uns auch Georg dort aufsuchen wollte. Er ist Arzt wie Friedensrichter, und ich fürchte fast, das arme Mädchen wird die Hilfe des einen wie des anderen brauchen.«
»Oh, so laß uns eilen«, bat Adele; »jeder Augenblick Verzögerung könnte der Tod der Unglücklichen sein. Komm, Hedwig, komm!«
Rasch setzte sie den erst abgelegten Bonnet wieder auf, half Mrs. Dayton ein Tuch umhängen und schritt hastig voran zur Tür; Hedwig aber blieb hier noch einmal stehen und trug Nancy auf, Mr. Dayton, sobald er nach Hause kommen sollte, zu sagen, sie seien in das Union-Hotel gegangen, um eine Kranke zu besuchen, und sie ließen ihn bitten, doch auf jeden Fall dort, sobald ihm das nur irgend möglich wäre, vorzusprechen.
Unten im Hotel trafen sie weiter niemanden als den Neger, der ihnen auf ihre Frage mitteilte, Mrs. Smart sei oben bei der kranken jungen Frau, Mr. Smart aber abwesend, und ihm selber wäre befohlen worden, keine menschliche Seele, die hinauf wollte, passieren zu lassen, den Doktor ausgenommen.
»Schon gut, Scipio, schon gut!« sagte Adele und drückte ihm aus ihrer kleinen Börse einen halben Dollar in die rauhe, schwielige Hand. »Wir müssen die junge Dame sprechen, hörst du?«
»Ja, Missus, wenn Sie müssen, da ist's was anderes«, lachte der Neger mit breitem Grinsen! – »meine Missus hat mir nur ausdrücklich befohlen, alle die abzuweisen, die hinauf wollten, selbst Massa; aber wenn Sie müssen«, und er machte eine etwas ungeschickte Verbeugung, während die Damen an ihm vorüber die Treppe hinaufstiegen. Nur erst, als Tom ihnen folgen wollte, faßte er dessen Arm und erklärte, er würde ihn unter keiner Bedingung hinauflassen. Tom aber, darauf wohl vorbereitet, flüsterte ihm, mit einem ähnlichen Geschenk, rasch zu: »Es ist meine Schwester, Bursche, und ich muß ebenfalls hinauf«, wonach er auch schon dadurch allen Bedenklichkeiten des Äthiopiers ein Ende machte, daß er diesen ohne weiteres mit riesenstarker Faust zur Seite schob und den Damen in raschen Sätzen treppauf folgte. Scipio aber steckte die beiden Halb-Dollarstücke in die Tasche und murmelte, während er sich mit breitem, innigvergnügtem Lachen abwandte: »Es war doch ein Glück, daß Missus den Posten hierhergestellt hat, – hätte sonst das größte Unglück passieren können.«
Im nächsten Augenblick standen die beiden Damen mit Tom an der Tür der Krankenstube, und auf ihr leises Klopfen öffnete Mrs. Smart, allerdings nur so weit, als nötig war, um die Außenstehenden zu erkennen, wobei sie schon mit scharfer Zunge, aber sehr gedämpfter Stimme eine grimmige Zornrede von innen heraus begann. Kaum erkannte sie jedoch Mrs. Dayton und die muntere Miß Adele Dunmore, ihren Liebling, als sich ihr eben noch so finsteres Angesicht auch aufklärte und sie, zurücktretend, die Frauen und ihren ihnen dicht folgenden Begleiter eintreten ließ, dabei aber durch alle nur möglichen Zeichen und Gebärden Stillschweigen als etwas unumgänglich Nötiges anempfahl und zur Pflicht machte.
Marie schlief, und noch immer trug sie das weiße, von Dornen zerrissene Oberkleid. Die langen Locken hingen ihr wirr und unordentlich um die fast leichenbleichen Schläfen, die rechte Hand hielt sie fest auf das Herz gepreßt und die linke stützte die blutleere Wange, gegen welche die langen, dunklen geschlossenen Wimpern nur noch mehr abstachen und ihre Blässe hervorhoben. Ihre Brust hob sich ängstlich, und die Lippen bewegten sich leise; – ihr zerrütteter Geist ließ ihr selbst im Schlaf keine Ruhe. Adele blickte starr und entsetzt auf die Freundin hinüber, und große, helle Tränen liefen ihr an den Wangen herab.
»Marie, oh du arme, unglückliche Marie!« stöhnte sie.
Leise, fast unhörbar waren diese Worte gelispelt worden; dennoch hatten sie das Ohr der Schlummernden erreicht. Sie öffnete die großen blauen Augen, und ihre Blicke
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