Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
hafteten im ersten Moment erstaunt auf ihrer Umgebung. Dann richtete sie sich halb auf dem Lager empor, strich sich das wirre Haar aus der Stirn und streckte Adele lächelnd die Hand entgegen. Sie schien gar nichts Außerordentliches darin zu finden, die Freundin, die sie doch weit von da entfernt glauben mußte, so plötzlich hier zu sehen.
»Marie!« rief aber Adele und warf sich schluchzend über sie. »Marie, armes armes unglückliches Kind! – Wo bist du gewesen, was ist dir widerfahren?«
»Das ist schön von dir, daß du mich besuchen kommst«, sagte die Frau, schob ihr leise mit beiden Händen die Locken zurück und küßte ihre Stirn. – »Auch Tom Barnwell ist da; armer Tom!« – Und sie bot ihm mit mitleidigem Blick die eine kleine Hand, die er schweigend nahm und leise drückte. »Marie, – willst du mir eine Frage beantworten?« flüsterte endlich Adele und suchte sich soviel wie möglich zu sammeln. »Willst du mir über einiges, was uns beide angeht, Auskunft geben?«
»Ei, jawohl, – recht gern«, – lächelte die Kranke, »gewiß will ich das; warum nicht?« Sie war ganz ruhig und gefaßt; nur der unstete, umherschweifende Blick verkündete noch die wilde Richtung, die ihr Geist genommen hatte.
»Gut«, – sagte Adele und hielt gewaltsam die Tränen zurück, die ihr fortwährend die Stimme zu ersticken drohten; »wann – wann hast du Sinkville verlassen?«
»Sinkville?« wiederholte Marie erstaunt. »Sinkville? Den Namen habe ich nie gehört; in Indiana liegt doch kein Sinkville?«
»Ich meine deine Plantage drüben in Mississippi.«
»Plantage? In Mississippi?« sagte Marie noch ebenso verwundert und halb lächelnd. – »Du träumst wohl, närrisches Kind wie sollte ich denn zu einer Plantage in Mississippi kommen? – Ich kenne den Staat gar nicht und habe ihn nie betreten.«
»Hat sich denn Eduard nicht bei Sinkville angekauft?« fragte Adele verwundert.
Marie war bis jetzt vollkommen ruhig gewesen, und augenscheinlich mußte sie die letzten fürchterlichen Vorgänge ganz vergessen haben. Der fremde Ort, an dem sie sich befand, die Personen, von denen keine eine Erinnerung an das Geschehene zurückrief, die Erwähnung fremder, ihr unbekannter Namen lenkte sie mehr und mehr von den Erlebnissen jener Nacht ab oder mochte ihr diese wenigstens, wenn sie in düsteren Bildern dennoch wieder vor ihrer Seele aufsteigen wollten, wie irgendeinen wilden, fürchterlichen Traum erscheinen lassen.
Eduards Name aber, ihr so plötzlich entgegengerufen, war das Zauberwort, das diesen glücklichen Schleier zerriß. Krampfhaft fuhr sie empor; die Hände preßte sie gegen die Stirn, und die stieren Blicke heftete sie wild auf die zurückbebende Freundin. Dann aber sprang sie rasch von ihrem Lager auf und rief, während sie mit ausgestrecktem Finger, dem ihr Blick in glanzloser Leere folgte, nach dem Fenster deutete: »Dort – dort steigt er herauf! Seine Locken sind naß; – aber sein helles Lachen schallt über das Verdeck. Eduard! – Heiland der Welt, – Eduard, schütze dein Weib! Hahaha, Kinder, – das ging vortrefflich! Über Bord mit dem Aas! Gebt ihnen nur die Steine mit! Eduard, schütze dein Weib! – Eduard! – Hahahahaha!« und mit krampfhaftem Lachen sank sie bewußtlos auf ihr Bett zurück.
Die Frauen hatten ihr schaudernd zugehört, und selbst Toms Herz erbebte, als er den markdurchschneidenden Schmerzensschrei der einst, ach, der noch so Geliebten hörte. Mrs. Smart war die erste, die sich wenigstens so weit sammelte, um dem armen Kinde alle nur mögliche äußerliche Hilfe zu leisten. Marie kam bald wieder zu sich, und die wilde Angst, die sie bis dahin erfaßt hatte, schien jetzt einem sanfteren Schmerz Raum geben zu wollen. – Sie weinte sich an Adeles Brust recht herzlich aus und horchte wenigstens ruhig den Trostworten der Freunde zu. Alles aber, was diese versuchten, um Aufklärung über das entsetzliche Geheimnis von ihr zu bekommen, blieb fruchtlos; denn was sie darüber äußerte, verwirrte sie nur immer noch mehr, da es mit Eduard Hawes' Worten so gar nicht zusammenstimmte.
Dieser mußte nun vor allen Dingen von seines Weibes Zustand benachrichtigt werden, und Adele beschloß, ihn brieflich in ihre eigene Wohnung zu bestellen, um ihn dort erst auf das Gräßliche vorzubereiten. Ein Bote sollte zu diesem Zweck augenblicklich nach Livelys Farm hinausgesandt werden, und während Adele die kurze Note schrieb, beriet sich Mrs. Dayton mit Mrs. Smart, wie und auf welche
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