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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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untersuchten das weiter, indem sie jungen Affen Filme von erwachsenen Affen vorführten, die ängstlich aussahen, und gleich danach Ansichten der unterschiedlichsten Gegenstände. 117 Einige dieser Gegenstände waren harmlos, etwa Blumen oder ein Plüschkaninchen, andere bezogen sich stärker auf Bedrohungen in der Natur, etwa Spielzeugschlangen oder Krokodile. Wurden den jungen Affen diese Videos gezeigt, so erwarben sie Angst vor potenziell gefährlichen Gegenständen wie Schlangen, nicht aber vor harmlosen Blumen oder Kaninchen. Offenbar besitzen die Tierjungen also bereits einen neuronalen Rahmen, der sie dazu prädisponiert, Gegenstände fürchten zu lernen, die in der evolutionären Vergangenheit der Art eine Gefahr bedeuteten.
    Meine Beispiele betrafen Gefahren in der Umwelt, die zu vermeiden sind. Ähnliche Prinzipien gelten aber auch für vorteilhafte Aspekte unserer Umgebung. So bevorzugen wir instinktiv den Geschmack bestimmter Nahrungsmittel, zum Beispiel von Äpfeln. Lernen wir, dass andere Merkmale wie Farbe und Geruch gute Indikatoren für wohlschmeckende Äpfel sind, so werden wir diese Information dafür einsetzen, besser an Äpfel heranzukommen. Genauso sind wir vielleicht instinktiv zu bestimmten Merkmalen des anderen Geschlechts hingezogen, etwa zu bestimmten Körperformen. Können wir andere Merkmale erlernen, die solche Formen vorhersagen – etwa Kleidungsstile oder eine bestimmte Gangart –, so kann uns das bei der Partnersuche behilflich sein.
    Auch anderen zu helfen ist ein nützlicher Instinkt mit evolutionärem Ursprung. Wer seinen Nachkommen oder Verwandten hilft, kann dadurch einen Selektionsvorteil erwerben, weil so der Reproduktionserfolg der gemeinsamen Gene gefördert werden kann. Anderen zu helfen, kann sich auch dadurch auszahlen, dass die anderen uns den Gefallen erwidern. Hieronymus profitiert in der Legende davon, dass er dem Löwen geholfen hat, denn er gewinnt einen Gefährten, der zuverlässig seinen Esel beschützt. Das heißt nicht, dass Hieronymus seinen eigenen Nutzen im Blick hatte, als er dem Löwen half, sondern nur, dass geleistete Hilfe sich im Nachhinein insgesamt als vorteilhaft erweisen kann. Aus Sicht der Evolution also kann man sich den Wunsch, anderen zu helfen, durchaus als einen ganz normalen Instinkt vorstellen, der gelegentlich von der natürlichen Selektion gefördert wird. Und das wiederum bedeutet, dass es von Nutzen sein kann zu lernen, Verwandte oder andere Menschen zu erkennen, die uns schon einmal geholfen haben.
    Zusammenfassen lassen sich all diese Beispiele in der Aussage, dass wir mit einer bestimmten Ausstattung an Werten geboren werden – Erfahrungen also, die wir als Belohnung oder Strafe betrachten, und die uns daher zu Handlungen animieren, über die wir sie anstreben oder vermeiden. Diese angeborenen Werte wurden durch natürliche Selektion aufgebaut. Die ursprünglichen Werte sind im Muster der neuronalen Verbindungen angelegt, mit denen wir geboren werden; sie entstehen im Zuge der biologischen Entwicklung. Später können wir durch Lernen aus Erfahrung diese Verbindungenso verändern, dass es wahrscheinlicher wird, das Wünschenswerte zu erhalten und das Unerwünschte zu vermeiden.
    Unsere Anfangswerte sind aber eben nur ein Anfang. Wie wir schon gesehen haben, führen Prozesse wie das TD-Learning zur Wandlung von Erwartungen und zur Einführung neuer Werte (Kapitel 7). Für Menschen steht Geld dafür, dass Nahrung und anderes Wünschenswertes erworben werden kann, und so wird es auch zum Wert an sich. Sindbad gerät in große Aufregung, als er auf einer seiner Reisen Diamanten findet, weil er ihnen sehr großen Wert beimisst. Werte können auch miteinander konkurrieren und sich je nach den herrschenden Bedingungen wandeln. Nehmen wir einmal an, wir schwanken, ob wir unter einem Baum Äpfel essen oder davonlaufen sollen, weil eine Schlange in der Nähe ist. Wie wir uns entscheiden, wird unter anderem davon abhängen, wie viel wir in letzter Zeit gegessen haben. Sind wir sehr hungrig, so steigert das deutlich den relativen Wert der Äpfel, und es wird wahrscheinlicher, dass wir bleiben. Auch im Lauf der biologischen Entwicklung können sich Werte wandeln. Das Interesse an Geschlechtspartnern steigt in der Pubertät, weil es im Körper zu Hormonschwankungen kommt. Grundbedingungen, biologische Entwicklung und Lernen stehen also in starker Wechselbeziehung, und dadurch verändern sich während unserer neuronalen Reise vielfach die

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