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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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dieser Lernprozess beruht auf instinktiven Reaktionen. Warum das so ist, verstehen wir, wenn wir den evolutionären Ursprung des Lernens betrachten.
    Zentraler Faktor der Darwin’schen Evolution ist der Reproduktionserfolg. Führen bestimmte Reaktionen auf Umweltveränderungen zu erhöhten Überlebenschancen und größerem Reproduktionserfolg, so werden sich diese Reaktionen in einer Population durch den Prozess der natürlichen Selektion tendenziell ausbreiten. Deswegen konnten sich instinktive Reaktionen durchsetzen wie etwa die, dass das Bakterium Escherichia coli auf Zucker zuschwimmt, dass Pflanzen zu bestimmten Jahreszeiten blühen oder dass Schnecken sich auf Berührungen hin zusammenziehen. All diese Reaktionen steigern tendenziell den Reproduktionserfolg, wie sich bei der Erprobung über viele Generationen hinweg herausgestellt hat. Worin aber liegt der evolutionäre Vorteil, wenn wir lernen, auf Herausforderungen zu reagieren, die zuvor noch nie angetroffen wurden? Warum sollte die natürliche Selektion es fördern, dass ein Hund lernt, auf einen Klingelton zu reagieren oder ein Affe auf das Geräusch einer sich öffnenden Tür?
    Aus Sicht der Evolution wäre es am vorteilhaftesten, wenn Organismen lernen könnten, ihre Handlungen so zu verändern, dass sie damit wahrscheinlich ihren Reproduktionserfolg steigern. Allerdings ist es zu dem Zeitpunkt, da man seine Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit beurteilen kann, häufig schon zu spät, um noch etwas daran zu ändern. Würden wir zum Beispiel mehrmals die Erfahrung machen, von einem Löwen gefressen zu werden, so könnten wir lernen, dass es eine gute Überlebensstrategie ist, Löwen aus dem Weg zu gehen. Aber natürlich können wir so nicht lernen, denn wenn wir einmal vom Löwen gefressen worden sind, ist die Geschichte zu Ende. Und wenn wir lernen wollen, wer von mehreren Partnern das beste Reproduktionspotenzial aufweist, könnten wir es natürlich damit versuchen, mit jedem von ihnen Kinder zu zeugen und aufzuziehen. Doch bis wir voraussagen könnten, welcher Partner nun der beste ist, wäre bei uns und unserem Partner wahrscheinlich schon längst das Haltbarkeitsdatum abgelaufen. Überlebens- und Reproduktionsraten sind schwer auszuwerten und können kaum als Handlungsgrundlage dienen, weil viele Generationen und Individuen nötig sind, um sie wirksam messen zu können.
    Wenn also auf eine Lebensspanne begrenztes Lernen für die Darwin’sche Evolution trotzdem wertvoll ist, dann muss es sich auf indirekterem Weg auf den Reproduktionserfolg auswirken. Möglich wird das durch eine Kopplung an instinktive Reaktionen. Nehmen wir etwa an, uns ist Angst vor großen Tieren mit scharfen Zähnen angeboren: eine instinktive Reaktion, die sich durch natürliche Selektion über Generationen hinweg herausgebildet hat. Sehen wireinen Löwen die Zähne fletschen, so haben wir instinktiv Angst und laufen davon. Erlernen wir nun Faktoren, die vorhersagen, dass gleich ein Löwe die Zähne fletschen wird – zum Beispiel wenn wir eine zottige Mähne sehen oder lautes Gebrüll hören –, dann könnten wir schon davonlaufen, ohne erst abzuwarten, was der Löwe tut. Diese Handlung verbessert unsere Überlebenschancen. Genauso würden unsere Überlebenschancen steigen, wenn wir lernen, dass Löwen in bestimmten Gebieten verbreitet sind, so dass wir diese Gebiete meiden können oder zumindest auf der Hut sind, wenn wir sie betreten.
    Solches Lernen wirkt sich zu unserem Vorteil aus, weil die instinktive Angst durch natürliche Selektion herausgebildet wurde. Wäre uns die Angst vor Äpfeln angeboren, so würden wir lernen, vor Merkmalen Angst zu haben, die ihr Auftreten anzeigen, etwa der Anblick von Apfelbäumen. Das würde uns aber keinen Überlebens- und Reproduktionsvorteil verschaffen, weil schon Angst vor Äpfeln an sich gar keinen Selektionsvorteil verschafft. Nur die Kopplung an Instinkte, die zuvor durch natürliche Selektion geschärft wurden, verschafft dem Lernen seinen Evolutionsvorteil.
    Dieser Bezug zwischen Lernen und Instinkt kann sehr fein ausdifferenziert sein. Neugeborene Rhesusaffen haben anfangs keine Angst vor Schlangen, lernen aber schnell, sich vor ihnen zu fürchten, wenn sie sehen, dass ihre Mutter vor eine Schlange Angst hat. Das scheint darauf hinzuweisen, dass die Angst vor Schlangen kein Instinkt ist, sondern erlernt wird. Die Psychologen Michael Cook an der University of Wisconsin und Susan Mineka an der Northwestern University

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