Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Inhalt einer Zelle zu einfach mit dem ihrer Nachbarinnen vermischen kann. Über die Zellmembranen werden zudem die Inhaltsstoffe, zum Beispiel Regulatorproteine, zusammengehalten und nach der Teilung an die Tochterzellen weitergegeben, so dass das Muster der Genaktivitäten erhalten bleibt. Auch bei der Diffusionsrate von Molekülen, die innerhalb von Zellen und zwischen ihnen Signale übermitteln, gelten bestimmte Grenzen. Bei der Evolution beruht die Persistenz auf der getreuen Weitergabe von Informationen von einer Generation an die andere über Reproduktion und Genreplikation. Persistenz ist bei biologischer Entwicklung und Evolution ein notwendiger Ausgleich zur Populationsvariabilität. Ohne Populationsvariabilität würde sich nichts verändern, und ohne Persistenz wäre alles, was sich verändert, nur von kurzer Dauer.
Populationsvariabilität und Persistenz sind unverzichtbare Parameter, würden sich selbst überlassen aber nichts Interessantes bewirken. Damit organisierte Anordnungen aufkommen, müssen sich einige Komponenten auf Kosten anderer vermehren. Dazu kommt es durch das Wechselspiel zwischen Verstärkung und Wettbewerb. Bei der biologischen Entwicklung verstärken Moleküle ihre eigene Produktion oder fördern sich gegenseitig in ihren Aktionen (Verstärkung). Der Anstieg bei diesen Molekülen erhält ein Gegengewicht dadurch, dass sie Inhibitoren anschalten, oder durch Wettbewerb um begrenzte Faktoren. Dieses Verhältnis zwischen Verstärkung und Wettbewerb stellt die Antriebskraft für die Musterbildung dar. Bei der Evolution heißt Verstärkung, dass Gene ihre eigene Replikation fördern, indem sie Überlebens- und Reproduktionsfähigkeitverändern. Fortpflanzungserfolg bewirkt dann eine Verstärkung des Wettbewerbs um begrenzte Ressourcen. Zum organisierten Wandel führt in beiden Fällen die Verknüpfung zwischen Verstärkung und Wettbewerb.
Abgesehen von den zahlreichen Unterschieden zwischen biologischer Entwicklung und Evolution sehen wir, dass hier dieselben Prinzipien wirken und einander beeinflussen. Vielleicht mag es kaum verwundern, dass die Prinzipien, mit denen ich die Evolution beschreibe, auch in meiner Darstellung der biologischen Entwicklung auftauchen. Wie ich zu Beginn von Kapitel 1 erwähnte, bin ich zu dieser bestimmten Reihe von Prinzipien gekommen, indem ich nach Merkmalen gesucht habe, die mehreren Wandlungsprozessen des Lebens gemeinsam sind und nicht nur an einem wirken. Erstaunlicher ist vielleicht, dass die Gemeinsamkeiten, die wir feststellen, nicht nur oberflächlich sind, sondern zentral für jeden der Prozesse. Sie definieren die wesentlichen Wechselwirkungen, die jeweils zu den Wandlungsprozessen führen. Das legt nahe, dass Evolution und biologische Entwicklung nicht völlig unterschiedlich wirken, sondern verschiedene Manifestationen einer gemeinsamen Reihe kausaler Prinzipien sind, über die Organisation entstehen kann.
Dennoch sollten wir uns hüten, solche Vergleiche zu weit zu treiben. Während zum Beispiel bei der Evolution ohne Mutationen gar nichts geht, finden wir bei der biologischen Entwicklung keine genaue Entsprechung dafür. 32 Eine Mutation ist ein einmaliges, punktuelles Ereignis an einem langen DNA-Molekül, also etwas völlig anderes als die Kollisionen bei Reaktion und Diffusion. Und bei der Evolution wirkt die Verstärkung über die Replikation, wohingegen Moleküle ihre Aktivität während der biologischen Entwicklung verstärken können, ohne dass sie selbst dafür kopiert werden müssen. Wie wir in der Einleitung am Beispiel des Schachspiels gesehen haben, können Vergleiche für mehr Verwirrung als Klarheit sorgen, wenn sie zu buchstäblich genommen werden. Krieg und Schach weisen eher formale Ähnlichkeiten auf als genaue Entsprechungen. Genauso wenig sollten wir versuchen, beim Vergleich von Komponenten der Evolution und der biologischen Entwicklung zu weit ins Detail zu gehen. Die Ähnlichkeit besteht in der Form, in vergleichbaren Prinzipien und Rückkopplungsschleifen, und nicht im Detail. Wir haben es bei biologischer Entwicklung und Evolution mit derselben Grundformel zu tun, die aber in sehr unterschiedlicher Gestalt daherkommt.
Bei meiner Darstellung der Grundprinzipien der biologischen Entwicklung bin ich allerdings über viele Probleme schnell hinweggegangen. Jeder der Wandlungsprozesse, die ich beschrieben habe, geht von einem früheren Kontext aus: Eine Zellregion, die Neuroblasten herausbilden wird, oder ein
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