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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Bicoid-Gradient in einer Eizelle. Wie aber werden diese Kontexte überhaupt selbst generiert? Und in welchem Verhältnis stehen die musterhaften Wandlungsprozesse, die ich beschrieben habe, zu der Entwicklung eines komplexen, vielzelligen Organismus wie einem Apfelbaum oder Menschen? Um das zu beantworten, müssen wir etwas genauer in die Funktionsweise der biologischen Entwicklung einsteigen.

K APITEL 4
DIE VOLLENDUNG DES BILDES
    Manche Gemälde von Cézanne wirken unfertig. An seinen Jardins des Lauves (Abb. 24) brach Cézanne die Arbeit ab, nachdem er wenige Stellen mit Farben blockiert hatte. Warum er das Gemälde in diesem Zustand beließ, ist unklar – vielleicht war er an einen Punkt gelangt, an dem er nicht mehr weiterkam, oder vielleicht sollte es auch einfach so bleiben, wie es war. Egal, warum – das Gemälde illustriert für uns, wie er Textur und Muster aufbaut. Offenbar beginnt er mit einer vorbereitenden Farbenskizze, auf die er dann aufbaut, indem er nach und nach übereinander weitere Farbflecken aufträgt. Jeder Farbpunkt hängt von den Farben ab, die zuvor bereits gemalt wurden, und beeinflusst seinerseits auch die nächsten Farbflecken. Wie interaktiv das Vorgehen geprägt ist, zeigt auch Cézannes Beschreibung der Porträtmalerei: »Wenn ich um deinen Blick das ganze, unendliche Netz der kleinen blauen und braunen Flecke webe, die dort sind, die sich miteinander verbinden, dann werde ich dich auf meinem Bilde blicken machen, wie du blickst … Einen Pinselstrich nach dem andern, einen Strich nach dem andern …«  33
    (24)  Les Jardins des Lauves , Paul Cézanne, 1906.
    Im vorigen Kapitel haben wir herausgestellt, wie Muster während der biologischen Entwicklung umgestaltet werden. Eine anfängliche Verteilung lässt sich so verändern, dass sich neue Muster der Genaktivität ergeben, etwa eine Anordnung in Punkten oder Stufen. Ähnlich wird vielleicht ein Künstler ein paar weitere Farbstriche auf einer Leinwand anbringen und damit ihr Aussehen verändern. Aus wenigen Strichen allein entsteht aber noch kein komplexes Muster. Das Bild muss aufgebaut werden, Farbe auf Farbe, Strich auf Strich.Auch die Entwicklung eines Embryos umfasst nicht nur eine oder zwei Veränderungen, sondern eine ganze Reihe von vielen aufeinander aufbauenden Veränderungen. Wie funktioniert dieser Vorgang der allmählichen Ausarbeitung?
DIE EMBRYO-COCKTAILPARTY
    Stellen wir uns den sich entwickelnden Embryo als eine Leinwand vor, auf die Farben und Muster aufgebracht werden. Wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, weist der frühe Taufliegenembryo einen vom Kopf zum Schwanz verlaufenden Gradienten von Regulatorproteinen auf, die wir durch Äpfel dargestellt haben. Auf unserer Leinwand entspricht das einer frühen farblichen Grundierung, sagen wir in Apfelgrün, die von einem Ende zum anderen allmählich heller wird(Abb. 25, oben). Auf diesen Apfelgradienten wird aufgebaut, bis wir ein stufenförmiges Birnenmuster vorfinden. Grundlage dafür ist, dass Apfelproteine an den Regulationsbereich des Birnengens binden und dieses je nach Lage im Embryo unterschiedlich stark anschalten (Abb. 25, Mitte). Wir haben jetzt also zwei Farben auf unserer Leinwand, einen durchgehenden Gradienten Apfelgrün und ein eher stufenartiges Muster von Birnengrün. Wie in der Malerei wurde die zweite Farbe ins Verhältnis zur ersten gesetzt.
    (25) Ausbildung und Detaillierung von Mustern in einem frühen Fliegenembryo.
    Wir können entsprechend weitermachen und weitere Farben auf unsere Leinwand auftragen. 34 Äpfel und Birnen sind Regulatorproteine mit der Fähigkeit, Gene an- oder auszuschalten. Liegen also unserApfel- und unser Birnengrün erst auf der Leinwand, können dadurch weitere Gene aktiviert werden. Die Produkte dieser Gene können wir mit weiteren Früchten symbolisieren, zum Beispiel mit Bananen, Zitronen, Mangos, Kiwis, Orangen, Aprikosen und Ananas. Das heißt, eines unserer Gene stellt Bananenproteine her, eines Zitronenproteine und so weiter (diese Gene entsprechen den so genannten Gap-Genen oder Lückengenen).
    Es folgt nun eine ausgefeilte gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Fruchtgene, vergleichbar dem Zusammenspiel von Farben auf einer Leinwand. So wie jeder Pinselstrich, den ein Künstler aufbringt, sowohl von anderen abhängt als auch andere beeinflusst, trägt auch jedes Gen zur Aktivität anderer Gene bei und reagiert zugleich auf sie. Jedes Gen codiert nämlich nicht nur für eine Frucht

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