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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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(Regulatorprotein), sondern besitzt auch selbst einen Regulationsbereich, an den andere Früchte binden können. Daraus folgt, dass die einen Gene und ihre Regulatorproteine die Aktivität der anderen tendenziell fördern, während andere miteinander konkurrieren. Wir erleben eine Territorialschlacht, aus der sich allmählich neue Muster ergeben. Bananen werden an ein Ende zurückgedrängt, danach kommt ein Streifen Zitronen, dann Mangos und so weiter bis zur Ananas (Abb. 25). Die Prinzipien, die diesen Prozess steuern, sind genau dieselben wie die im vorigen Kapitel. Durch molekulare Wanderung, Persistenz, Verstärkung und Wettbewerb werden Muster schrittweise verändert. Allerdings laufen jetzt viele dieser Wechselwirkungen gleichzeitig ab. Ausgehend von einem einzigen Gradienten aus Apfelgrün haben wir das Muster auf unserer Leinwand am Ende so ausgearbeitet, dass jetzt mehrere verschiedene Farbstreifen entstanden sind. Wohlbemerkt wird dieser Prozess aber von keinem externen Künstler vollzogen, sondern ergibt sich allein aus den Wechselwirkungen der Moleküle.
EINE KOOPERATIVE LEISTUNG
    All diese Ereignisse im Embryo beruhen auf dem Zusammenspiel der verschiedenen Regulatorproteine (bei uns Früchte), die an die Regulationsbereiche der Gene binden. Nehmen wir an, jeder Regulationsbereich verfügt über etwa zehn verschiedene Bindeplätze fürbestimmte Regulatorproteine. Der Regulationsbereich eines Gens hat zum Beispiel Bindeplätze für Äpfel, Birnen, Bananen, Zitronen und Mangos. Ein solcher Regulationsbereich wirkt als statistischer Magnet, der tendenziell diese Früchte zusammenbringen kann. Wenn sie dann alle in räumlicher Nähe sind, kommt es im Gedränge leicht zur Wechselwirkung, und je nach deren Ergebnis wird das Gen an- oder ausgeschaltet. Demnach lässt sich nicht voraussagen, was ein einzelnes Regulatorprotein tut, ohne gleichzeitig zu betrachten, wie es im Verhältnis zu anderen Regulatorproteinen handelt. Das Gesamtergebnis der Wechselwirkungen ist die koordinierte An- oder Abschaltung von Genen im Lauf der biologischen Entwicklung, so dass diese geordnet verläuft. Damit sind wir beim Prinzip der Kooperation, diesmal auf der Ebene der Regulationsbereiche von Genen.
    Kooperation greift freilich nicht nur auf der Ebene der Regulationsbereiche. Wir erinnern uns, dass die Zellkerne im sich entwickelnden Embryo sich teilen. Die befruchtete Eizelle hat anfangs nur einen einzigen Zellkern; im Stadium der Streifen mit Bananen, Zitronen und so weiter halten sich an die 1000 Zellkerne im Embryo auf, von denen jeder seine eigene DNA-Kopie enthält. Da sich hier so viele Zellkerne in enger Nachbarschaft befinden, können sie aufeinander einwirken. Regulatorproteine, sagen wir Zitronen, die ein Zellkern produziert hat, können zu den nächsten Zellkernen weiterwandern und deren Regulatorproteine beeinflussen. Dieses Wechselspiel zwischen benachbarten Zellkernen ist eine weitere Form der Kooperation, dank der die biologische Entwicklung geordnet ablaufen kann.
    Die Existenz mehrerer Zellkerne statt eines einzigen in derselben Zelle ist eine große Besonderheit des frühen Taufliegenembryos. Bei den meisten Tieren und Pflanzen teilen sich die Zellen des frühen Embryos gleichzeitig mit dem Zellkern; das ergibt viele Zellen mit je einer Außenmembran und einem eigenen Zellkern. Bei diesen vielzelligen Embryonen läuft die Musterbildung nach denselben Prinzipien ab wie bei der Fliege, nur dass noch zusätzliche Moleküle nötig sind, die Signale durch die Membranen hindurch aussenden und empfangen können (ähnlich wie das Delta-System aus dem vorigen Kapitel, S. 98–99). Wieder kommt es zu lokaler Kooperation, diesmal unter Nachbarzellen im Embryo. Solche Wechselwirkungen zwischen Zellen finden bei der Taufliege in späteren Stadien ebenfalls statt, wenn die vielen Zellkerne des Embryos von einer Membran umhüllt sind und eigene Zellen bilden. Die biologische Entwicklung ist immer eine kooperative Anstrengung und beruht auf Wechselwirkungen zwischen benachbarten Zellen, Zellkernen und Regulatormolekülen.
REGULATORREICHTUM
    Wenn mehrere verschiedene Komponenten aufeinander einwirken, eröffnen sich viele Möglichkeiten. Die riesige Vielfalt von Molekülen im Universum ist aus Kombinationen von lediglich rund 100 Elementen gebildet. Und alle Genome der Erde sind verschiedene Kombinationen von nur vier Basen: A, G, C und T. Dieses Prinzip des kombinatorischen Reichtums gilt auch für die Gensteuerung.

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