Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
Vom Netzwerk:
leben wir noch immer im »Zeitalter der Bakterie«, und das seit etwa 3,5 Milliarden Jahren. 48 Das Leben entwickelt sich nicht weiter zu immer größeren und komplexeren Formen, sondern die Ökosysteme enthalten viele verschiedene, nebeneinander existierende Formen; jeder dieser Organismen erfasst Verhältnisse in der Umwelt in den unterschiedlichsten Größenordnungen, vom Mikro- bis zum Makroskopischen.
ZOOMEN UND WACHSEN
    Betrachten wir eine Art von Meeresalgen, etwa den Blasentang ( Fucus vesiculosus, Abb. 38), so erkennen wir, dass er in vielen Größenordnungen seiner Umwelt angepasst ist. Als ganzer Organismus gesehen, verzweigt und gabelt er sich über mehrere Dutzend Zentimeter; mit dieser Anpassung kann die Pflanze große Mengen vonEnergie aus dem Sonnenlicht speichern. An der Basis entwickelt er eine wurzelartige Struktur, die die Pflanze am Felsen verankert. Diese Haftplatte ist mit dem Rest der Pflanze über einen starken Stiel verbunden, der dem beständigen Wogen des Meeres gewachsen ist. Gehen wir etwas näher heran, so sehen wir, dass der Hauptteil der Alge flach ist wie ein Blatt, so dass zum Aufnehmen der Lichtenergie eine große Oberfläche zur Verfügung steht. Das Blatt verfügt über eine Mittelrippe, deren Steifheit besonders wirksam den Bewegungen des Meeres widersteht. Bestimmte Regionen sind zudem zu Gasblasen aufgewölbt, die Auftrieb erzeugen. Zoomen wir noch weiter in die Pflanze hinein, so sehen wir die einzelnen Zellen von jeweils etwa einemzehntel Millimeter Durchmesser. Wir sehen verschiedene Zelltypen mit verschiedenen Spezialisierungen, etwa die im Hauptblatt, die die Photosynthese durchführen, oder die in der Haftplatte, die die Pflanze am Felsen verankern.
    (38) Blasentang (Fucus vesiculosus) .
    Zoomen wir noch weiter in die Zellen hinein, so sehen wir, dass jede eine Vielfalt genauestens organisierter kleiner Einheiten enthält, die jeweils etwa ein tausendstel Millimeter lang sind. Das sind unter anderem die Chloroplasten, die auf Photosynthese spezialisiert sind, und die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle. Zoomen wir nochmals weiter in einen Chloroplasten (wir überschreiten jetzt die Grenzen des Lichtmikroskops), so sehen wir Schwärme winziger Teilchen in den verschiedensten Formen, jedes etwa ein hunderttausendstel Millimeter im Durchmesser. Das sind die Proteine, die die chemischen Reaktionen in der Zelle auslösen, etwa das Protein RuBisCO (siehe Kapitel 2, S. 64–65), das die Fixierung von Kohlendioxid katalysiert.
    All diese Organisationsebenen stellen die vielen verschiedenen Größenordnungen dar, in denen die Braunalge Verhältnisse in ihrer Umwelt erfasst. Die verzweigte Architektur der Pflanze bezieht sich auf Verhältnisse wie den Lichteinfall auf die Pflanze sowie die Auswirkungen der Meeresströmungen und der Erdanziehung. Die Form des RuBisCO-Proteins passt zur räumlichen Gestalt des Kohlendioxidmoleküls, das heißt zur Verteilung der elektrischen Ladungen auf seiner Oberfläche. In jeder Größenordnung sind die Anpassungen einer Pflanze Beispiele dafür, wie durch Wechselwirkung mit der Umwelt deren zeitliche und räumliche Verhältnisse erfasst wurden.
    Dasselbe gilt auch für Einzeller. Das Protein RuBisCO des Blasentangs ist ganz ähnlich geformt wie RuBisCO aus einzelligen Algen. Es arbeitet ja auch in beiden Fällen auf molekularer Ebene mit der Fixierung von Kohlendioxid. Einige Aspekte der Umwelt dagegen entgehen einzelligen Organismen. Das Reißen der Meeresströmung ist für eine einzelne Zelle kaum relevant. Wer nur den Bruchteil eines Millimeters lang ist, kann leicht an einem Felsen haften, egal, mit welcher Wucht die Wellen rundum einschlagen. In dieser Größenordnung fühlt sich Wasser so an wie für uns zähflüssige Melasse. Obwohl also auch das Leben des Einzellers reich und vielfältig ist, lässt es einige der Verhältnisse in der größeren Welt außer Acht. Größerevielzellige Organismen aber können in dieser größeren Welt agieren. Und sie können viele ihrer Umweltverhältnisse erfassen, weil ihre Zelltypen und ihre Zellorganisation das per Anpassung in verschiedensten Größenordnungen möglich machen.
    Zu dieser Selbstorganisation gelangen sie über eine Richtung, die dem Zoomen entgegengesetzt ist, nämlich über Wachstum und Vermehrung. Blasentang beginnt damit, dass die befruchtete Eizelle umhertreibt, bis sie sich am Meeresgrund verankern kann. Dann teilt sie sich in zwei Zellen mit unterschiedlichen

Weitere Kostenlose Bücher