Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
Vom Netzwerk:
wenige Kernaspekte, mit denen ich einige Hauptprinzipien der Kognition illustrieren möchte. In diesem Kapitel untersuchen wir, wie Lernen und Handeln ineinander verwoben sind, und im nächsten Kapitel wollen wir untersuchen, wie wir Dinge auf bestimmte Weise zu interpretieren lernen. Ich verwende im Folgenden häufig Beispiele aus dem Bereich des Sehens, die Grundprinzipien gelten aber genauso für andere Wahrnehmungsformen. Betrachten wir die Kognition über diese Prinzipien, so werden wir feststellen, dass unsere neuronale Reise nicht passiv abläuft, sondern engstens mit unserem Handeln und Interpretieren verwoben ist.
    Da wir in bestimmten Gebieten noch große Wissenslücken aufweisen, verwende ich einige hypothetische Schemata, um mögliche Mechanismen zu illustrieren. Obwohl der Ansatz damit teilweise spekulativ wird, hat er den Vorteil, dass wir einige Vorstellungen geradlinig durchziehen und damit Einsichten über die zu Grunde liegenden Prinzipien erlangen können. Vielleicht wird mancher Leser die detaillierteren Erklärungen in diesen beiden Kapiteln trotzdem lieber überspringen. Wir machen uns zunächst an die Kalibrierung, eine der grundlegendsten Möglichkeiten, Handlungen mit ihren Auswirkungen zu verknüpfen.
KALIBRIERUNG
    Leonardo da Vinci kannte sich mit militärischen Konflikten aus. Sein Leben lang war Italien ständig von einer französischen Invasion bedroht, und seine Heimatstadt Florenz führte regelmäßig Krieg mit dem Nachbarn Pisa. Es ist also nicht erstaunlich, dass Leonardo seinen Erfindungsgeist häufig auf Kriegsmaschinen richtete. Und da entwarf er nicht nur militärische Geräte wie ein mehrläufiges Maschinengewehr, sondern interessierte sich auch für die Lehre von den Geschossen, die Ballistik. Er fragte nach der Schleuderkraft einer Bombarde, einer Art Kanone: »Wenn eine Bombarde bei 4 Pfund Pulver ein Geschoß von 4 Pfund 2 Meilen weit wirft, wie weit werden 6 Pfund Pulver es dann werfen?« 78 Die Beantwortung dieser Frage war nicht nur von theoretischem Interesse, sondern hatte auch praktische Bedeutung. Wollte man mit einer Bombarde ein militärisches Ziel treffen, so musste man wissen, wie viel Schießpulver man dafür verwenden musste (Abb. 57).
    (57) Zeichnung von Bombarden. Leonardo da Vinci, um 1504.
    Die ballistische Fragestellung, die Leonardo hier aufwirft, lässt sich auf verschiedene Weisen angehen. Ein praktischer Ansatz bestünde darin, zu messen, wie weit eine Bombarde eine Kugel mit verschiedenen Mengen Schießpulver schleudert. Das ergäbe eine Kalibrierungstabelle, eine Liste mit Distanzen für jede eingesetzte Pulvermenge. Dann müsste man, um zu wissen, wie viel Schießpulver man für eine benötigte Distanz braucht, nur auf der Tabelle nachsehen.Eine Einschränkung dieses Ansatzes besteht darin, dass man nur Distanzen nachsehen könnte, die bereits getestet wurden. Wäre eine Distanz in der Liste nicht aufgeführt, so säße man in der Klemme. Eine Verbesserung wäre also schon eine Kalibrierungskurve, die die durchlaufene Distanz in Abhängigkeit vom Pulvereinsatz darstellen würde. Darauf könnte man nachsehen, wie viel Pulver man für jede beliebige Distanz benötigt, indem man den Wert am entsprechenden Schnittpunkt mit der Kurve abliest.
    Kalibrierung ist ein grundlegendes Beispiel dafür, wie wir die Handlung determinieren können, die zur Erreichung einer bestimmten Wirkung oder eines bestimmten Ziels nötig ist – aus einer Kalibrierungskurve wissen wir, wie viel Schießpulver wir brauchen, um eine Kugel über eine bestimmte Entfernung zu schleudern. Die Verknüpfung von Handlungen und Zielen ist auch für das Lernen grundlegend. Im vorigen Kapitel habe ich beschrieben, wie ein Affe auf das Geräusch einer Tür zu reagieren lernt, um sich ein Stück Apfel zu holen. Das war ein Beispiel der instrumentellen Konditionierung: Der Affe lernt nicht nur, dass die Tür das Futter vorhersagt, sondern auch, welche Handlung er ausführen muss, um dieses Futter zu bekommen – nämlich in die Box greifen. Eine Möglichkeit, diese Handlung zu erlernen, besteht darin, dass das Türgeräusch Synapsen stärkt, die an der Auslösung der Muskelanspannung beteiligt sind, die der Erlangung des Futters vorausgeht. So würden jedes Mal dieselben Muskelanspannungen und Armbewegungen ausgelöst wie vor dem Ertasten des Futters, wenn das Türgeräusch erklingt. Allerdings wäre so ein System höchst unflexibel. Würde die Box mit der Apfelbelohnung nur ein Stück

Weitere Kostenlose Bücher