Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
Vom Netzwerk:
Türgeräusch erklingt. Der Affe lernt nun also, dass eine bestimmte Sinneswahrnehmung, nämlich das Türgeräusch, bedeutet, dass die Handlung (Griff in die Box) zur Belohnung führt. Zu solchem Verhalten kann es kommen, wenn das Lernschema aus dem vorigen Kapitel durch den Faktor zielgerichteter Handlungen ergänzt wird. Statt einfach Verbindungen mit bestimmten Bewegungen zu verstärken, wird der sensorische Input mit der zielgerichteten Handlung zur Belohnungsfindung verbunden. Das heißt, wenn die Box bewegt wird, kann der Affe immer noch die geeignete Handlung ausführen.
    Bei diesem Beispiel gab es eine einzelne zielgerichtete Handlung, das Auffinden der Apfelbelohnung; doch es sind auch vielfältige Ziele denkbar, die weitere Ebenen für Kooperation und Wettbewerb einführen. Stellen wir uns vor, dem Affen werden zwei Boxen mit Apfelbelohnungen präsentiert, eine links und eine rechts von ihm, und sie werden beide gleichzeitig mit dem Türgeräusch geöffnet. Im Verlauf mehrerer Versuche lernt der Affe, dass es in beiden Boxen Belohnungen zu finden gibt. Kann der Affe nur einen Arm bewegen, so steht er vor einer Entscheidung, wenn er das Türgeräusch hört: Er kann entweder nach rechts oder nach links greifen. Sind die Belohnungen in beiden Boxen die gleichen, so entscheidet er sich vielleicht mit gleicher Wahrscheinlichkeit für rechts oder links. Allerdings ist es wichtig, dass der Affe überhaupt eine Entscheidung trifft, denn sonst bliebe er blockiert – könnte er sich für keine Seite entscheiden, dann hätte er am Ende gar keine Belohnung. Potenzielle Handlungen müssen deshalb im Gehirn gegeneinander konkurrieren, und eine muss am Ende gewinnen. Dieser Wettbewerb funktioniert vielleicht nach ähnlichen Grundlinien wie die, denen wir bei der biologischen Entwicklung begegnet sind; da konkurrierten Zellen darum, welche von ihnen ein bestimmtes Gen exprimiert (Delta, siehe dazu Kapitel 3). Die Zellen versuchen, die Aktivität der Konkurrenten zu hemmen; wenn eine einmal einen leichten Vorteil erwirkt, so wird ihr Vorteil verstärkt, und sie eliminiert am Ende die anderen ganz. Allerdings erfolgt bei der Entscheidung des Affen dieser Wettbewerb in sehr vielkürzeren Intervallen und an Neuronen, die die anderen am Feuern hindern. Und natürlich sind sich Affen und Menschen nicht bewusst, dass ein solcher neuronaler Wettkampf tobt, wenn sie eine Entscheidung treffen. Wir haben das Gefühl, unsere Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen. Doch hinter den Kulissen konkurrieren womöglich die Neurone, damit sich auch bestimmt am Ende eine Handlung durchsetzt. 91
    Denkbar ist auch eine Situation, in der die Belohnungen in den beiden Boxen sich unterscheiden. Nehmen wir an, die Boxen sind manchmal leer, und zwar die linke öfter als die rechte. Dann hat der Affe es mit einem gewissen Grad an Unsicherheit zu tun, ob er nun eine Belohnung erhalten wird oder nicht. Mit der Zeit lernt er, die rechte Box der linken vorzuziehen, weil sie im Schnitt mehr Belohnungen bereithält; allerdings wird er auch in der linken Box immer wieder nachsehen, um festzustellen, ob sich dort an der Wahrscheinlichkeit einer Belohnung nicht etwas geändert hat. Der Affe erlernt nicht nur den Bezug zwischen Belohnungen und individuellen Handlungen, sondern außerdem noch, welche Strategie in einer Reihe von Entscheidungen und Situationen am ehesten zur Belohnung führt. 92 Solches Lernen lässt sich auch wieder durch ein Wechselspiel von Handlungen, Erwartungen und Diskrepanzen bewirken, nur sind die neuronalen Schemata dafür schon sehr viel komplizierter.
    Ein weiterer Einflussfaktor für solche Entscheidungen ist der relative Wert oder Anreiz verschiedener Belohnungen. Dieser Anreiz kann schwanken, je nachdem, welche Erfahrungen der Affe gemacht hat. Nehmen wir etwa an, der Affe wurde mit sehr vielen Äpfeln gefüttert und sehnt sich nach etwas anderem, zum Beispiel einer Banane. 93 Wenn wir nun in die rechte Box eine Banane legen, so wird der Affe nach mehreren Versuchen lernen, öfter rechts nachzusehen als links. Hat der Affe dagegen schon sehr viel Banane gegessen, wendet er sich vielleicht lieber nach links und holt sich einen Apfel. Der Begriff der Belohnung ist nicht fixiert, sondern hängt auch von der Erfahrungsgeschichte des Affen ab.
    Weil er lernt, kann der Affe begründete Entscheidungen treffen, welche Optionen für die gegebene Situation und je nach den vorausgegangenen Erfahrungen für ihn am geeignetsten sind. Diese

Weitere Kostenlose Bücher