Die Formel (Ein Fall für Die Nachtfalken - Band 1) (German Edition)
sie.
Eilig ging sie um die Straßenecke und folgte dem Gehweg. Der Regen durchnässte ihre Haare und lief über ihr Gesicht. Ziellos wanderte sie durch die nächtlichen Straßen von München.
Nach endlosen Minuten oder Stunden stand sie plötzlich in der Kellerstraße gegenüber ihrer Wohnung. Ihrer ehemaligen Wohnung, korrigierte sie sich. Sie war ja jetzt offiziell tot. Sehnsüchtig blickte sie die Fassade hinauf.
Frau Miller im vierten Stock hatte ihren Ausguck verlassen und die Vorhänge zugezogen. Das flackernde Licht eines Fernsehers drang hindurch.
Hinter den Fenstern ihrer eigenen Wohnung war es dunkel. Sara ist nicht zuhause, dachte sie. Nie wieder.
Unerreichbar lag ihre bisherige Welt vor ihr. Ihr Inneres schien aus einem riesigen unentwirrbaren Knäuel zu bestehen. Abgeschnitten von ihrem alten Leben konnte sie nicht einmal jemanden anrufen, der sie hätte aufmuntern können. Tränen mischten sich mit den Regentropfen auf ihren Wangen.
Sie lehnte sich an die Hausmauer und ließ sich daran herunter in die Hocke gleiten. Den Blick immer noch auf die dunklen Fenster im ersten Stock gerichtet, dachte sie an ihr Team. Sie waren ihr inzwischen vertraut und besonders Luke war ihr ans Herz gewachsen. Aber da das Team für ihre Trennung von einem normalen Leben stand, wehrte sich ihr Inneres gegen eine allzu enge Bindung an die Drei. Nun war auch noch Kevin in ihr Leben getreten, der sie wieder in Richtung eines normalen Lebens zog. Sie hatte ihn belügen müssen, alles wegen dieses Jobs. Wäre sie ihm in ihrem früheren Leben begegnet, wie einfach hätte alles sein können. Nun musste sie ständig aufpassen, was sie zu ihm sagte. Wie sollte sie sich da auf eine Beziehung einlassen. Sie erinnerte sich an Luke Worte, dass dieser Job keine engen zwischenmenschlichen Beziehungen zu Außenstehenden zuließ.
Luke. Wenn sie nur wüsste, was sie für ihn empfand. Gleichgültig war er ihr nicht, das hatte sie schnell gemerkt.
Sara stand auf. Sie fror und war völlig durchnässt. Auf der Suche nach einem Taxi schüttelte sie die trüben Gedanken und die Tränen ab. Jetzt mal nicht in Depressionen verfallen, schalt sie sich. Der Abend mit Kevin hatte ihr gut getan. Mit ihm konnte sie sich wieder wie eine normale Frau fühlen. Wenigstens vorübergehend. Ansonsten hatte sie einen Job zu erledigen. Alles Weitere würde die Zukunft zeigen.
44
Nach dem nächtlichen Regen glitzerten die letzten Regentropfen am Grün der umstehenden Bäume in den morgendlichen Sonnenstrahlen. Sara stand vor der Tür der Pension und genoss die Sonne auf ihrem Gesicht. Sie hatte die vergangene Nacht tief geschlafen und fühlte sich nach Tagen endlich wieder fit und erholt.
Ihr Taxi schoss heran und bremste scharf vor ihren Zehen. Sie stieg ein und begrüßte den indisch aussehenden Fahrer. Der nickte ihr nur kurz zu und gab Gas, nachdem sie ihm die Zieladresse angegeben hatte.
Das Taxi stoppte in einer Wohnsiedlung etwa hundert Meter von dem Parkplatz entfernt, auf dem der LKW stand. Sara zahlte und schlenderte zum LKW.
Luke hockte vor seinem Motorrad neben dem LKW. Um ihn herum verstreut lagen diverse Werkzeuge. Als Sara ihn erreichte, werkelte er gerade mit einem Schraubenzieher in den Eingeweiden der Dukati herum. Er schmiss den Schraubenzieher auf dem Boden. „So ein Scheiß!“
Sara wich dem Schraubenzieher aus und zog ihm die Kopfhörer seines iPods aus den Ohren. Du hast von Rammstein dröhnte ihr entgegen. „Das heißt guten Morgen.“
Er sah kurz zu ihr auf und wandte sich , Unverständliches brummend, wieder seiner Maschine zu.
Sie zog den iPod aus seiner Jackentasche.
Er griff danach. „Gib den wieder her!“
Doch sie war schneller und drehte sich von ihm weg. „Sei nicht so eklig.“
Interessiert scrollte sie durch die gespeicherten Musiktitel. Neben ein paar Rammstein-Nummern fand sie Metallica, ACDC, ZZ Top, Queen und viel Klassik von Bach, Mozart und Beethoven.
„Coole Mischung. Und kein James Blunt“, kommentierte sie.
„Wofür hältst du mich, ein Weichei?“, fragte Luke finster.
„Tja, wer weiß.“ Mit einem unschuldigen Augenaufschlag reichte sie ihm seinen iPod zurück.
„Miststück“, brummte er, aber er musste unwillkürlich lächeln.
Er steckte den iPod ein und wandte sich wieder seiner Maschine zu. „Scheißding.“
„Warum bist du denn so grantig? Es ist so ein schöner Morgen.“
Luke schnappte sich einen anderen Schraubenzieher und stieß ihn in das Innenleben des Motorrads.
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