Die Fotografin
übrig.
Noch immer hält mir Gregor den Mund zu, will mir das Sprechen verbieten, will mich einfach mundtot machen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ohne wirklich nachzudenken, winde ich mich aus seinem Griff, drehe seine Hand um und beiße zu, so fest ich kann. Mit einem unterdrückten Schrei springt er auf und im schattenhaften Dunkel sehe ich seine Kiefermuskeln vor unterdrückter Wut zucken. Jetzt habe ich ihn aus der Reserve gelockt, jetzt gelingt es mir vielleicht, bis zu seinem Innersten vorzudringen. Um dieses verschüttete und abgestorbene Innenleben nach außen zu stülpen wie einen Handschuh.
Wenn wir uns dann mit Erniedrigungen und Beleidigungen völlig fertiggemacht haben, dann – ja dann können wir uns wieder lieben, so wie zu Beginn unserer Ehe. Damals habe ich meinen Mann bewundert für seine Stärke und seine Rücksichtslosigkeit, aber damals war ich auch eine andere Frau. Doch diese Tage sind lange schon vorbei.
„Mach mich bloß nicht wütend“, zischt Gregor, hat sich aber sofort wieder unter Kontrolle und aktiviert seine antrainierten Mechanismen. Gierig wie ein Vampir beginnt er, das Blut aus der lächerlichen Wunde, die meine Zähne in seinen Handrücken geschlagen haben, zu saugen.
Während ich ihn dabei beobachte, streiche ich mit der Zunge über meine Lippen, schmecke Gregors Blut. Es ist nicht das Blut von Talvin, nicht das Blut meines toten Liebhabers, der noch immer unentdeckt in der Wohnung liegt. Ermordet. Habe ich das wirklich getan? Jetzt ist alles so weit weg, so maßlos entrückt. Vorsichtig lange ich mit meinem Arm an Gregor vorbei auf den Boden. Spüre die vertrauten Konturen des Gehäuses, kann blind und mit einer Hand sämtliche Funktionen aktivieren. Jetzt bin ich stark und mein Mann ist schwach.
Mit einem Satz schnelle ich auf die andere Seite des Bettes, reiße die Kamera hoch und schieße eine Serie mit dem Blitz. Das grelle Blitzlicht blendet Gregor und er findet sich zwischen Dunkelheit und greller Helligkeit überhaupt nicht mehr zurecht. Immer wieder drücke ich auf den Auslöser, schieße und schieße, eine wahre Blitzlichtorgie bis der Akku zu blinken beginnt. Erst dann lasse ich die Kamera sinken und betrachte die von mir erlegte Beute.
„Verschwinde! Mach, dass du aus meinem Leben kommst. Du bist an allem schuld!“
Ich schaffe es, noch ein weiteres Blitzlichtgewitter direkt in sein Gesicht abzufeuern und ihn so aus meinem Schlafzimmer zu vertreiben. An der Tür bleibt er stehen, muss sich am Türrahmen festhalten und reibt sich mit der anderen Hand die geblendeten Augen.
„Du, du brauchst Hilfe, Adriana!“ Gregor schnauft heftig, räuspert sich unentwegt und seine Taucheruhr klappert bedrohlich.
„Für wen, glaubst du, mache ich das alles?“, höre ich durch einen Nebel aus Angst und Erleichterung die aggressive Stimme meines Mannes, die klingt, als wäre es wieder soweit, dass er mir weh tut.
„Ich mache das doch bloß für uns, damit wir ein schönes Leben führen können. Damit unsere Familie glücklich ist.“
Der Akku blinkt, aber aus Erfahrung weiß ich, dass noch fünf Minuten übrig sind und das müsste reichen, um Gregor endgültig abzuschießen und aus dieser Nacht zu verjagen. Plötzlich macht er einen Schritt auf mich zu, doch damit habe ich gerechnet, wieder reiße ich die Kamera hoch und das Blitzlicht hält ihn auf Distanz, treibt ihn zurück und die Treppe hinunter, wo er sich laut und umständlich einen doppelten Wodka eingießt, dann noch einen und gleich darauf auf der Couch einschläft.
Mitten in der Nacht schrecke ich hoch, ein undefinierbares Geräusch hat mich geweckt. Ich horche angestrengt in die Dunkelheit. Nichts, nur Stille. Aber es ist eine Stille, die mir Angst einjagt, eine Stille, die nur darauf wartet, sich mit einem Knall in ein Lärminferno zu verwandeln.
Vorsichtig gleite ich aus dem Bett, unter meinem dünnen Nachthemd bin ich schweißüberströmt und die Kamera liegt schwer in meiner Hand. Der flauschige Teppich kitzelt beruhigend unter meinen nackten Fußsohlen, doch dann trete ich auf die abgezogenen Holzbohlen, die dem Schlafzimmer seinen Strandhaus-Charakter verleihen. Diesmal vermitteln mir die fast weißen Dielen aber kein Gefühl der Sicherheit, sondern erinnern mich im Gegenteil an eine knackende Eisfläche, die jeden Augenblick bersten kann, wo ich in einem schwarzen Loch versinke und niemals wieder gefunden werde. Die Stille legt sich wie ein Kokon über das Zimmer, wie eine schalldichte Folie,
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