Die Fotografin
gecheckt. Auch private Hochschulen und Akademien. Kunstuniversitäten und Fachhochschulen. Es gibt keinen Talvin Singh. Nirgends.“
„Aber, aber ...“ Ich fuchtle mit den Händen hilflos durch die Luft, will meinen Gedanken eine Struktur, einen Halt geben. „Er hat mir doch immer von seinem Großvater und der Theosophischen Gesellschaft in Madras erzählt. Woher sollte ich sonst davon wissen?“
Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischt Marion meinen Einwand zur Seite. „Das tut doch nichts zur Sache. Schon immer hattest du eine blühende Fantasie, Adriana. Erinnere dich nur zurück: Du hast DAMALS ja auch viele Geschichten über das Segeln erzählt.“
Wie sie das Wort DAMALS betont – so als würde dieses Wort alles bündeln, was vor fünf Jahren geschehen ist, als der Vorfall mit Björn passierte und die schwedische Polizei mit ihren Ermittlungen begann.
„Aber diesmal ist alles ganz anders.“ Ich zerre am Riemen der Kamera, die schwer an meinen Hals hängt und beständig gegen meine Brust schlägt. Marion fällt das natürlich auch sofort auf.
„Du kannst es einfach nicht lassen“, meint sie kopfschüttelnd und greift nach dem Teleobjektiv. „Sicher hast du auch deine Kaffeetasse fotografiert.“
„Du kennst mich einfach zu gut!“ Ich lächle schuldbewusst und fasse mir ein Herz: „Glaubst du, dass ich einen Mord begehen kann?“
„Wie kommst du denn darauf? Manchmal hast du aber schon sehr schräge Gedanken!“ Unmerklich ist Marion ein wenig von mir abgerückt, so als wäre ich von einer ansteckenden Krankheit befallen und vielleicht bin ich das ja auch. Von der Krankheit des Todes.
„Ich glaube, dass ich meinen Liebhaber Talvin ermordet habe!“, platze ich mit meiner düsteren Vermutung heraus. „Ich bin fast sicher, denn ich habe heute Morgen auch den Tod gesehen!“ Marion zieht die Augenbrauen hoch, es ist ja wirklich ziemlich unglaubwürdig, was ich sage.
„Na, dann brauchen wir ihn ja auch nicht mehr zu suchen, wenn du weißt, wo du ihn ermordet hast“, erwidert sie spöttisch und nimmt mir mit dieser Flapsigkeit die Angst.
„Ich brauche aber Gewissheit. Deshalb gehen wir jetzt gemeinsam in seine Wohnung und sehen nach.“
„Moment, Moment! Du willst nachschauen, ob dort eine Leiche liegt? Sag einmal, hast du sie noch alle?“
„Aber das ist die einzige Möglichkeit, um mich davon zu überzeugen. Ich werde sonst noch komplett verrückt!“
Marion winkt dem Barkeeper, der uns noch Kaffee bringt und dann erzähle ich Marion von den Erinnerungsfetzen, die mich schon seit Tagen quälen. Ich lasse kein grausiges Detail aus und beschönige auch nichts. Anders als gestern habe ich heute wieder Vertrauen zu Marion, obwohl sie mich hintergangen hat. Aber ich brauche jemanden, der mich begleitet. Sonst bin ich ja komplett einsam und alleine auf dieser Welt.
„Wow! Wenn auch nur ein Teil von dem stimmt, was du mir gerade erzählt hast, dann steckst du ja ziemlich tief in der Scheiße.“
„Deshalb brauche ich auch jemanden, der mir hilft, nicht endgültig in diesem Sumpf aus Zweifeln zu versinken.“
„Hör auf, in Selbstmitleid zu baden!“ Marion steht auf und zerrt mich an meiner Kamera hoch. „Los, machen wir uns auf den Weg und überzeugen uns selbst, ob dort eine Leiche liegt oder nicht.“
Sie lächelt mich mitleidig an und ich kann es ihr nicht verdenken. Sie glaubt mir nicht und meine Geschichte klingt auch ziemlich bizarr, wenn ich ehrlich bin.
Draußen auf der Straße hat bereits der morgendliche Frühverkehr eingesetzt und Marion drängt mich zur Eile. Sie muss pünktlich in der Werbeagentur sein, denn heute gibt es eine Präsentation vor einem ihrer wichtigsten Kunden.
Als wir endlich vor dem Haus stehen, fotografiere ich den Eingang und betrachte das Bild auf dem Display. Es erscheint mir merkwürdig fremd und distanziert, völlig ohne Leben.
„Vielleicht ist es nicht das richtige Haus?“ Der zweifelnde Unterton in meiner Stimme macht Marion hellhörig.
„Adriana, was ist bloß los mit dir? Du triffst dich monatelang mit deinem Liebhaber in dieser Wohnung und jetzt bist du dir nicht einmal mehr sicher, ob es das richtige Haus ist?“ Sie schüttelt genervt den Kopf.
„Glaubst du nicht auch, dass du dir alles nur eingebildet hast?“
„Nein, nein! Es ist schon der richtige Eingang! Er sieht nur auf dem Display so anders aus.“
„Gib mir die Kamera!“ Marion streckt ihre Hand aus und schnippt mit den Fingern, redet plötzlich im Befehlston mit
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