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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B.C. Schiller
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gleich, das verschafft mir ein Gefühl der Sicherheit in dieser unübersichtlichen Großstadt: Das Café Stein, das Museumsquartier, die Innenstadt mit ihren Menschenmassen. Selten bewege ich mich, so wie jetzt, hinunter zum Naschmarkt, vielleicht weil dort die Menschen vorsichtiger und aufmerksamer sind, weil sie spüren, wenn die Jägerin ein Opfer ausgewählt hat und es solange jagt, bis sie es erlegt hat. Als ich eine Treppe hinunterhaste, um die Witterung wieder aufzunehmen, sehe ich weiter vorn den Albino mit dem Totenkopfring gerade noch schnell um eine Ecke biegen.
    Ist das Zufall, dass ich die Spur dieses Fremden so schnell wiederfinde? Die aufgehende Sonne wärmt meinen Nacken, ein kaum wahrnehmbarer Morgenwind streichelt die feinen Haare auf meinen Armen und meine Haut prickelt und vibriert vor Aufregung. Führt mich dieser Fremde vielleicht zu Talvin? Aber dann fällt mir ein, weshalb ich überhaupt so früh in die Stadt gefahren bin, reiße mich zusammen und kehre zurück in die Wirklichkeit.
    Der Albino-Mann schnippt mit der linken Hand seine filterlose Kippe in einen Gully und dabei blitzt sein Totenkopfring. Er geht in ein heruntergekommenes Jugendstilhaus, von dem aus man sicher einen schönen Blick über den Naschmarkt und auf das Gebäude der Secession hat. Das Lokal im Erdgeschoss ist verrammelt, in verblassten Lettern steht noch der Name über der Tür „Purgatorio“ – Fegefeuer.
    Ganz oben sehe ich ein großes geschwungenes Fenster und eine halb geöffnete Tür, die auf einen schmalen verschnörkelten Balkon führt. Mit dem Sucher scanne ich die Fassade entlang nach oben, will den Schatten des Fremden hinter einem der Fenster oder ganz oben auf dem schmalen Balkon sehen. Dort steht er dann auch mit nacktem bleichem Oberkörper, der Rosenkranz mit dem auf dem Kopf stehenden Kreuz um seinen Hals baumelt im Wind über seiner eingefallenen Brust und der Totenkopfring funkelt. Im Mundwinkel hat er schon wieder eine Zigarette, doch ist sie diesmal nicht angezündet, dient ihm bloß zur Dekoration. Mit seinen roten Augen sieht er nach unten und wieder kommt es mir vor, als würde er direkt in mein Objektiv blicken.
    Verwirrt und ängstlich ziehe ich mich in den Schatten der Verkaufsstände zurück und starre auf die Fassade, will sie mit meinen Gedanken zum Einsturz bringen, will wissen, ob mich diese Hand mit dem Totenkopfring direkt zu Talvin führen kann. Erst wenn ich die Hand des Fremden berührt habe, werde ich ein Foto schießen.
    In einer öligen Pfütze plustern sich zwei Tauben auf. Ich mache einige Aufnahmen, als sie sich mit ihren Schnäbeln liebkosen. Das morgendliche Licht zaubert bunte Ringe auf das Öl und macht diese Fotos zu etwas Besonderem. Ich kann die Fotos auf dem Display sehen, also ist es die Wirklichkeit. Den Albino finde ich nirgends gespeichert. Als ich wieder die Hausfront hinaufblicke, ist der Balkon, auf dem er soeben noch stand, verwaist und die Tür ist mit Brettern vernagelt. Doch der Name „Purgatorio“ steht noch immer über dem versperrten Lokal. Ich bin also noch so lange im Fegefeuer, bis ich weiß, ob ich meinen Liebhaber getötet habe oder nicht. Und das ist gut so.
    Ich schultere meine Kamera, gehe an der Secession vorbei und bin auch schon am Anfang der Operngasse, und von dort ist es nicht mehr weit bis zu dem Haus mit dem ausgebauten Dachgeschoss, in dem mein toter Liebhaber jetzt schon den dritten Tag liegt. Doch vielleicht war alles nur ein böser Traum und wenn ich jetzt wieder die Stiege nach oben sprinte, dann ist alles wieder gut. Ich werde die letzte Treppe nach oben fast hinauffliegen, so leicht fühle ich mich. Immer zwei Stufen auf einmal, dabei ziehe ich mir bereits die hinderliche Jacke aus, öffne meine Haare und laufe direkt auf Talvin zu, der mich – nachlässig am Türstock lehnend – mit spöttischem Gesicht von oben bis unten mustert und mir spielerisch die Tür vor der Nase zuwerfen will. Doch blitzschnell stelle ich meinen Fuß zwischen Tür und Angel, drücke mit aller Kraft dagegen, denn ich habe hier das Gesetz des Handelns übernommen.
    Mittlerweile ist es fast sieben Uhr und ich muss noch einen Anruf tätigen. Endlos lange bimmelt das Handy und endlich meldet sich eine verschlafene Marion.
    „Was ist los?“, fragt sie völlig verdattert, als ich sie darauf anspreche, dass sie mein Vertrauen missbraucht hat und hinter meinem Rücken mit Gregor gemeinsame Sache macht.
    „Hör mir doch zu, Liebes!“, versucht sie sich zu

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