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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B.C. Schiller
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mir. „Du wirst jetzt nicht mehr fotografieren, sondern dich auf die Wirklichkeit konzentrieren! Hast du mich verstanden?“
    Natürlich verstehe ich, aber ich will meine Kamera nicht aus der Hand geben. Das ist ein Teil von mir, der überlebenswichtig ist.
    „Ich verspreche, dass ich keine Fotos schieße, aber die Kamera gebe ich unter gar keinen Umständen wieder her.“ Energisch schüttle ich den Kopf und presse die Kamera fest an meine Brust.
    „Ganz wie du meinst. Also los, fahren wir mit dem Aufzug nach oben.“
    Wir stehen bereits vor dem altmodischen Scherengitter des Fahrstuhls, der dunkel, eng und gefährlich wirkt. Marion weiß nichts von meinem kleinen Aufzugproblem, es war mir immer peinlich, darüber zu sprechen. Der modrige Geruch in dem düsteren Foyer hat sich noch verstärkt und ich bilde mir ein, auch einen leichten Verwesungsgestank zu riechen.
    „In welchem Stock ist die Wohnung?“ Marions Stimme ist zackig und voll gespannter Aktivität.
    „Der fünfte Stock!“ Mehr als ein Raunen bringe ich nicht zustande, denn jetzt wird auch die Luft bereits weniger, Marion verbraucht einfach zu viel davon.
    „Hier gibt’s aber nur vier Stockwerke“, sagt Marion, als sie die Aufzugstafel checkt.
    „Eine Treppe führt nach oben in den fünften Stock, dort ist eine moderne  graugestrichene Stahltür, die direkt in den Wohnraum führt“, röchle ich und mache einen zögerlichen Schritt nach vorne, denn ich muss meine Angst vor der Gefahr überwinden, die von der dunklen und engen Kabine des Aufzugs ausgeht. Mein Puls rast, während ich mit den Fingerspitzen über das Scherengitter streiche und hinter mir Marions Stimme wie aus weiter Ferne höre, die langsam verschwindet und mich alleine zurücklässt.
    „Was ist, willst du nicht endlich hineingehen? Ich bin ein wenig in Eile und kann nicht ewig hier draußen herumstehen. Also los, worauf wartest du, Adriana!“
    Ja, worauf warte ich eigentlich? Ich warte darauf, dass in der Wohnung im fünften Stock mein Liebhaber die Tür öffnet und am Leben ist. Dass ich endlich weiß, dass ich nicht verrückt bin und mir nur alles eingebildet habe. Dann kann ich beruhigt in den sicheren Hafen meiner kleinen Familie zurückkehren und brauche mir keine Gedanken mehr zu machen. Dann bin ich endlich frei.
    „Adriana, komm schon!“ Marion gibt mir einen leichten Stoß in den Rücken, der mich nach vorne, hinein in die dunkle Aufzugskabine schiebt. Die matte Beleuchtung an der Decke flackert und die hinter dem schmutzigen Glasschirm gefangenen Fliegen surren panisch, bevor sie in der Hitze verglühen. Der Fahrstuhl ächzt und vibriert, die alte Holzvertäfelung an den Wänden ist wurmstichig und riecht nach Bienenwachs. Das Stahlseil, das den Aufzug über dem Abgrund hält, knirscht bedrohlich, eine der Halteschrauben hat sich gelöst und fällt klackernd oben auf das Kabinendach. Der Spiegel an der rückwärtigen Wand ist fleckig, mein Gesicht darin verzerrt und unwirklich verschwommen. Marion, die hinter mir steht, mir knapp bis zur Schulter reicht, verzieht ihren Mund zu einem grotesken Grinsen und schiebt mich immer weiter in die Kabine hinein.
    Natürlich wird jetzt die Luft knapp, denn die Kabine ist winzig, nicht größer als die Fläche unter meinen Füßen. In dieser engen Kabine kann kein Mensch atmen, schon gar nicht, wenn gleichzeitig zwei Personen nach oben fahren wollen. Es ist vollkommen unmöglich, in dieser engen, düsteren und nach Wachs riechenden Kabine zu überleben und nur eine Frage der Zeit, bis ich sterbe.
    Deshalb kralle ich mich an dem Scherengitter fest und lasse mich auf den Boden sinken.
    „Ich, ich kann nicht da hinein! Da bekomme ich keine Luft und muss ersticken.“
    „Verflixt Adriana, dreh jetzt nicht durch! Das ist doch bloß ein stinknormaler Aufzug.“
    Marion ist am Ende ihrer Geduld, das spüre ich. Aber ich kann unmöglich weiter in diese enge Kabine hinein. Noch ehe wir den vierten Stock erreicht hätten, wäre ich mit Sicherheit erstickt.
    „Also gut!“, seufzt Marion wenig später, als ich mich noch immer panisch an das Scherengitter klammere und mich nicht von der Stelle rühre. „Wenn du überhaupt nicht willst, gehen wir eben zu Fuß nach oben. Dann kann ich mir das Fitnessstudio für heute sparen.“
    Erleichtert lasse ich das Scherengitter los und Marion zerrt mich an meiner Kamera wie einen Hund an der Leine hinter sich her zur Treppe. Auf dem ersten Treppenabsatz muss ich mich auf die mit alten Zeitungen

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