Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B.C. Schiller
Vom Netzwerk:
in dem ich durch einen Torbogen in den verlassenen Hinterhof laufe, wo sich die Location für das heutige Fotoshooting befindet. Ohne anzuhalten, rasen sie an der Einfahrt vorbei, sie sind wahrscheinlich auf dem Weg zu einer Messerstecherei droben am Währinger Gürtel. Jedenfalls denke ich das, denn auf mich können sie es nicht abgesehen haben. Doch wer weiß?
    Mein Handy summt unentwegt. Ich achte nicht darauf, sehe nicht auf das Display. Es ist sicher Marion, die mir etwas mitteilen will. In der dunklen Einfahrt lehne ich mich an die Wand und komme ein wenig zur Ruhe. Den Kopf an die kalte Steinmauer gedrückt, versuche ich mit geschlossenen Augen, meine Bildergalerie aufzurufen und durch die letzten dreißig Minuten zu blättern. Aber diese Bilder sind alle überbelichtet, es ist nichts zu sehen außer einem gleißenden Weiß, das mich an den Sand von Marina Beach in Chennai erinnert, an den ich mit Talvin auf der Ladefläche eines Tuk-Tuk gefahren bin und wo wir uns im weißen Sand geliebt haben. Doch von Talvin habe ich mich ja getrennt und deshalb wird der weiße Sand für immer nur in meiner Erinnerung sein.
    „Schätzchen, was ist mit dir? Du siehst an diesem herrlichen Tag so traurig aus.“ Die Stimme von Raul reißt mich aus meinen trüben Gedanken. Raul, mein langjähriger Visagist, streicht mir mit dem Handrücken über meine Wange und spontan greife ich nach dieser Hand und drücke sie noch fester gegen mein Gesicht.
    Raul de Castro kenne ich bereits seit zwölf Jahren, länger als meinen Mann, und mit ihm kann ich über alles reden. Wenn er nicht schwul wäre, hätte ich ihn wahrscheinlich geheiratet, einfach weil er immer für mich da ist. Raul ist Ende vierzig, stammt ursprünglich aus Kuba und die sonnige Stimmung der Karibik hat er sich auch in dem grauen und morbiden Wien bewahren können. Er ist klein und zart, hat einen rasierten Schädel und trägt neuerdings einen schwarz gefärbten Vollbart, der ihm ziemlich gut steht. Als Visagist ist Raul eine Kapazität. Er zaubert jedem Model den gewünschten Ausdruck ins Gesicht und ist deshalb in der Branche sehr gefragt. Trotzdem ist er ständig in Geldschwierigkeiten und auf jeden noch so kleinen Job angewiesen. Oft bin ich mit Raul nach einem anstrengenden Fotoshooting noch in die Spielsalons am Gürtel gegangen und habe ihm als Glücksbringer assistiert. Dabei habe ich überrascht festgestellt, dass er an den Spieltischen völlig verändert war. Er spielte Blackjack und Poker wie in Trance, setzte ohne Rücksicht auf Verluste und wenn ich ihn nicht manchmal mit Gewalt von einer Runde weggezogen hätte, dann wäre er wahrscheinlich auch noch bereit gewesen, seinen Schminkkoffer als Spieleinsatz zu riskieren. Manchmal kommt mir der Verdacht, dass Raul spielsüchtig sein könnte, aber wenn ich ihn darauf anspreche, weicht er mir immer aus.
    „Schätzchen, Schätzchen, du siehst ja ziemlich elend aus! Als wäre dir Baron Samedi höchstpersönlich über den Weg gelaufen.“
    „Ich kann nicht mehr“, flüstere ich und zerre am Riemen der Kamera, die mich beharrlich weiter in Richtung Abgrund zieht. Unbewusst hat Raul das Richtige gesagt. Wie der Totengott Baron Samedi aus dem haitianischen Voodoo-Kult, auf den Raul so steht, genauso sind mir zunächst der Albino und dann auch Talvin erschienen.
    Soll ich Raul von Talvin erzählen, von dem ich mich getrennt habe und der jetzt tot ist? Mit Raul kann ich über alles sprechen, aber darüber? Nein, das würde er nicht verstehen. Er hatte schon damals vor fünf Jahren Schwierigkeiten mit dem Zwischenfall mit Björn. Ich war monatelang unfähig zu arbeiten und Raul konnte einfach nicht nachvollziehen, dass mir dieses Desaster half, den Tod meines Sohnes halbwegs zu verkraften. Vorsichtig hebe ich den Kopf. Raul betrachtet mich noch immer aufmerksam mit seinen großen dunklen Augen.
    „Sollen wir das Shooting verschieben?“, fragt er mit seiner fremdländisch gefärbten Stimme, die so gut zu seinem glatt rasierten Schädel und dem schwarzen Vollbart passt. Raul achtet sehr auf seinen durchtrainierten Körper, bewegt sich selbstsicher durch die Straßen, sodass niemandem auffällt, wie zart er tatsächlich ist. Natürlich weiß ich, dass diese Frage nur rhetorisch gemeint ist, denn Raul ist sicher wieder total pleite und braucht den Job.
    „Nein, nein. Es ist schon in Ordnung! Nur eine leichte Schwäche, habe die Nacht über nicht geschlafen“, sage ich.
    „Hast du Ärger mit deinem Mann?“, fragt Raul

Weitere Kostenlose Bücher