Die Fotografin
Persson grinste zurück.
Der Polizist deutete eine Verbeugung an und sagte: »Vielen Dank, daß Sie mir Ihre Zeit geschenkt haben, Mademoiselle, Monsieur.« Beim Herausgehen entdeckte er den Gummiknüppel auf dem Tisch, ergriff ihn und drohte spielerisch zu Persson hinüber. Der breitete die Arme aus und lachte. Der Uniformierte lachte zurück.
Dann drehte er sich noch einmal zu Alexa um.
»Sie wohnen im Haus der Silbermanns, Mademoiselle, n’est-ce pas ?«
Sie nickte.
»Irgend etwas dort gefunden, etwas, das uns Aufschluß geben könnte?«
Sie zögerte. Boisset sah sie abwartend an. Sollte sie von den Fotos erzählen, von den Aufnahmen auf dem Film, der sich noch in der Kamera befunden hatte?
»Nein«, sagte sie mit fester Stimme. Boisset setzte den Hut auf und schlug die Tür hinter sich zu.
»Schön, wenn man einen guten Draht zur örtlichen Polizei hat, oder?« Persson saß wieder am Küchentisch und lachte in sich hinein. »Wir sind zusammen im Judoclub, Boisset und ich. Den Gummiknüppel hat er mir zum Geburtstag geschenkt.«
Alexa starrte ihn an. Perssons Heiterkeit war gespielt. Er lachte zu laut, und er rauchte zu hastig. Und er sagte kein Wort des Bedauerns über Ada.
Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf, drehte sich um und ging.
»Auf Wiedersehen!« rief er betont höflich hinter ihr her. Als sie am Haus von Crespin vorbeikam, stand das Tor zu seinem Keller offen. Ruby lag wie ein aufs Gnadenbrot gesetzter Zerberus davor und klopfte matt mit dem Schwanz. Aus dem Keller roch es sauer, nicht unangenehm, aber durchdringend.
»Die Fässer müssen leer werden«, sagte Crespin und winkte sie heran. »Damit die neue Ernte Platz hat.« Drei Fässer standen an der Stirnseite des Kellers, alte, dunkelbraune Veteranen, aus deren Spundlöchern Holzkeile ragten, die mit nicht gerade appetitlich aussehenden Lappen umwickelt waren.
»Willst du probieren?«
Er schwenkte einen dünnen roten Schlauch und ein Glas. Sie zögerte. Aber er hatte schon das eine Ende des Schlauchs in eine Öffnung oben auf dem ersten Faß geschoben, das andere Ende in den Mund gesteckt, kräftig dran gezogen, den Schlauch mit Daumen und Zeigefinger zugeklemmt und dann ausgespuckt. Er hielt das Glas unter den Schlauch und ließ eine trübe Flüssigkeit hineinlaufen, die die Farbe von mürbe gewordenem roten Samt hatte. Dann ließ er die Flüssigkeit kreisen, hielt die Nase über das Glas und reichte es hinüber.
Alexa tat es ihm nach und nahm den ersten Schluck. Der Wein war nicht sehr stark, und er hatte wenig Säure. Sie hatte schon Schlimmeres getrunken.
»Trink aus!« sagte Lucien und stopfte den dünnen roten Schlauch ins nächste Faß. »Das war der Merlot. Und dies ist« – er spuckte aus und hielt sein Glas unter den Schlauch – »der Syrah.«
»Sie haben Ada gefunden«, sagte sie, während er das Glas schwenkte und die Nase darüber hielt.
»Ich weiß.«
Natürlich. Er wußte alles – Neuigkeiten schienen sich in diesem Dorf per Gedankenübertragung zu verbreiten. Aber warum wirkte er so unbeteiligt? Tat ihm Adas Tod nicht leid? Empfand er gar nichts dabei?
Er nahm einen tiefen Schluck, grunzte zufrieden und schenkte dann ihr ein. »Es ist ein guter Anlaß, sich zu betrinken.«
Sie sah ihm in die Augen. Ganz nüchtern war er nicht mehr.
»Weißt du«, sagte der Alte nach einer Weile.
»Ich hab es immer schon befürchtet. Ada hätte Ernest nie ohne ein Wort verlassen. Sie mußte tot sein, sonst hätten wir von ihr gehört.«
»Ein Unfall.«
»Wenn sie in eine Felsspalte gefallen wäre« – der alte Herr wiegte den Kopf. »Aber daß sie sich in eine Höhle zum Sterben hinlegt – unwahrscheinlich.«
»Hatte sie Feinde?« Alexa hatte Perssons Bemerkung im Ohr.
»Ich weiß es nicht. Sie sah alles, sie hörte alles, und sie wollte alles wissen. Manche Menschen mögen das nicht.« Crespin leerte sein Glas und blickte in die Ferne. Dann ließ er das Glas wieder vollaufen. Auch Alexa trank tapfer aus und hielt ihm das Glas wieder hin.
»Wußte sie zuviel?« Crespin sah sie erstaunt an.
»Philipp Persson deutete so was an.«
»Ich weiß nicht.« Der Alte schüttelte den Kopf.
»Und Philipp – der erzählt auch viel, wenn der Tag lang ist.«
Er drehte ihr den Rücken zu und zapfte das dritte Faß an. Als er ihr Glas füllte, sah sie, daß er Tränen in den Augen hatte.
»Ich versteh nichts von Kunst. Von Fotografie.
Aber Ada – wenn sie fotografiert hat, dann hast du hinterher die Welt anders gesehen.
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