Die Fotografin
Eva Rauch diese Waffe? Karen betrachtete die schlechte Kopie einer Kopie eines Fotos der FEK und blies sich eine Strähne Haar aus der Stirn. Und wußte man wirklich nichts über den Verbleib der anderen? Möglich, daß der Dieb oder die Diebe das Raubgut an alle möglichen Kunden verkauft hatten. Dann wäre die Frage nicht weiter wichtig. Andererseits hatte die Schweizer Polizei damals einen terroristischen Hintergrund vermutet – in den 70er Jahren klauten terroristische Gruppen aus dem In und Ausland alles, was sich zum Töten gebrauchen ließ.
Hatte Eva Rauch Kontakte zur Terroristenszene? Immerhin wies ihre Biographie Lücken auf. Und sie hatte in Paris gelebt und dort geheiratet. Einen Mann aus dem arabischen Kulturkreis…
Kurz entschlossen griff sie zum Telefon.
»Manfred Wenzel? Der ist in einer Besprechung«, sagte Elisabeth im besten Sekretärinnenton. Sie hörte sich reserviert an. Das ging aber schnell, dachte Karen.
»Sag ihm bitte, er möge mich anrufen. Dringend.« Sie merkte, wie die Ungeduld in ihr hochstieg wie Sprudel mit zuviel Kohlensäure.
»Und – wo?«
Karen mußte unwillkürlich lachen. »Elisabeth, ich befinde mich nicht in einer Strafkolonie und auch nicht auf dem Mars, sondern in meiner Wohnung in Frankfurt am Main.«
»Man fragt ja nur«, sagte Elisabeth und legte auf.
In der nächsten halben Stunde räumte Karen den Schreibtisch auf, lief wie ein Tiger durch die Wohnung, traute sich nicht aufs Klo, weil dringende Anrufe ja immer gerade dann kommen, und holte sich schließlich, das ultimative Eingeständnis eines seelischen Ausnahmezustands, ein Tuch, um in den Bücherregalen Staub zu wischen. Dann, endlich, klingelte es.
»Bist du es, mein Schatz?«
»Natürlich, Mutter.« Wer sollte es sonst sein? Die Tage, als mal ein Mann ans Telefon gegangen war, schienen endlos lange her.
»Kommst du nun am Wochenende? Du weißt doch, Tante Gerda besucht mich.«
Reichte das nicht? Normalerweise ersetzte Tante Gerda eine ganze Talkrunde. »Mutter, ich weiß es noch nicht. Wirklich nicht.«
»Aber wo du doch Urlaub hast – und nichts zu tun! Da kannst du dich doch endlich mal erholen!«
Mutter würde nie begreifen, daß ein Besuch bei ihr nicht Vergnügen, sondern harte Arbeit war und mit Erholung nichts zu tun hatte.
»Also ganz so, wie du glaubst…« Karen war das erste Mal seit langem um eine Ausrede verlegen.
»Und außerdem brauche ich deine Hilfe, du weißt ja, es geht nicht mehr alles so wie früher…«
Mutter verfügte über eine verblüffende Bandbreite seelischer und körperlicher Zustände. Am schlechtesten ging es ihr, wenn sie etwas wollte.
»Ich tue, was ich kann, Mutter.« Karens Haß auf Angelika Kämpfer vervielfachte sich. Dank dieser Schlange war sie auch noch dem Zugriff von La Mamma schutzlos ausgeliefert. »Okay?«
»Aber denk dran…«
»Ja, Mutter.« Sie hörte der alten Dame noch eine Weile zu bei der Aufzählung dringender Angelegenheiten, die einen Besuch ihrer Tochter unumgänglich machten, und legte schließlich mit einem matten »Laß es dir gutgehen« auf.
Erst zwei Stunden später rief Wenzel an.
»Tut mir leid, aber Elisabeth hat mir eben erst…«
»Das hätte ich mir denken können.« Elisabeth war bekannt für ein ausgeprägtes Gespür, was die gerade aktuellen Machtverhältnisse betraf.
»Mach dir nichts draus«, sagte Wenzel. »Weiber…«
Diesmal stimmte sie ihm aus vollem Herzen zu.
»Tust du mir einen Gefallen?«
»Ich bemühe mich.« Er wußte, daß er ihr seit dem Fall Bunge etwas schuldig war.
»Die Pistole, mit der die Rauch erschossen wurde…«
»Karen! Es ist doch gar nicht…«
»Egal. Ich will nur wissen, ob etwas vorliegt über die anderen Waffen aus diesem Raub. Ist jemals eine wieder aufgetaucht und wenn ja, wo?«
Wenzel zögerte.
»Manfred! Ein Blick in den Computer! Ein Anruf bei Steiner!« Der BKA-Waffenexperte war mit einem Erinnerungsvermögen ausgestattet, das sich in vielen Fällen schon als weit verläßlicher herausgestellt hatte als die Elektronik.
»Also gut«, sagte Wenzel. Und nach einer Weile: »Kämpf nicht auf verlorenem Posten, hörst du?«
Fast hätte seine Fürsorglichkeit sie gerührt.
»Zerbrich dir nicht meinen Kopf. Ich weiß schon, was ich tu. Du weißt doch: alles Intuition.« Dieses Wort hätte ihn früher zur Weißglut gebracht. Wenzel hielt nichts von »Esoterik«, wie er es nannte, bei ihm zählte nur Nachweisbares.
Diesmal lachte er und legte auf.
5
Beaulieu
A lexa wußte
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