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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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geöffneten Schiebetür, gerade so wie vorhin, um seinen Gästen zuzuhören. Zu seinen Füßen lag ein struppiger, grauer Köter. Auf seinem Gesicht spiegelte sich zufriedene Bürgerlichkeit. Und noch etwas anderes. Etwas nicht ganz so Angenehmes. Geiz?
    »Das war sie. Ich meine – das hat sie gemacht. Ada Silbermann konnte verdammt gut fotografieren.«
    Ich sehe was, was du nicht siehst, dachte Paul. Er konnte sich plötzlich vorstellen, warum man sich vor Ada Silbermann fürchtete.

10
    Frankfurt
    D orothea v. Plato merkte erst am erschrockenen Gesicht der Sekretärin, daß sie laut geworden war. Laut? Sie mußte den jungen Mitarbeiter angebrüllt haben, der daraufhin wie ein gehetzter Hase aus dem Zimmer gelaufen war. Und nun stand Irene in der Tür und sah sie an, als ob sie sich ernstlich Sorgen machte.
    Dorothea lehnte sich im Schreibtischsessel zurück und atmete tief durch.
    »Ich hab dem armen Kerl wohl den Schrecken seines Lebens eingejagt.« Natürlich hatte der Knabe alles verbockt, was sie ihm aufgetragen hatte. Aber das war kein Grund, ihn anzubrüllen. Dorothea v. Plato brüllte nie, vor allem nicht, wenn es Untergebene waren. »War’s sehr schlimm?«
    Irene lächelte hilflos. Sie hat mich noch nie so erlebt, dachte Dorothea. Noch nie in all den Jahren.
    Sie ließ den Stuhl zurückfedern, stand auf und ging zum Fenster. Draußen war der Himmel stahlgrau, wahrscheinlich würde es gleich wieder regnen. Hier drinnen merkte man nichts vom Wetter. Und kein Laut drang von der lebhaften Straße hinauf in ihr Büro.
    »Was liegt heute noch an? Was ist mit morgen? Kannst du mir den Rücken freihalten?« fragte sie leise. Sie spürte, wie Irene sich einen Ruck gab. Dann kam sie herein und schloß die Tür hinter sich mit Nachdruck.
    »Was ist los?« fragte sie. Sie waren ein eingespieltes Paar: wenn Dorothea sie duzte, war Krise. Dorothea drehte sich um und sah ihr in die Augen. »Ich weiß nicht.« Das war noch nicht mal gelogen.
    Irene hob die Hände und guckte zur Decke.
    »Also – das Essen mit Trautmann ist heute abend, morgen früh Konferenz, dann der Vertreter der IHK, die Journalistin von…«
    »Kann man das canceln?«
    »Klar, aber…«
    »Erfind irgendwas. Sag, ich sei krank.« Dorothea nagte an ihrer Unterlippe, eine Unsitte, von der sie geglaubt hatte, sie hätte sie sich vor zwanzig Jahren für immer abgewöhnt. Sie hatte die Entscheidung den ganzen Tag vor sich hergeschoben. Aber sie mußte reagieren auf seinen dritten Brief, der heute früh gekommen war. Völlig sicher war sie sich nicht, aber es sah ganz so aus, als drohte er ihr.
    »Was jetzt kommt, bleibt unter uns, ja?«
    »Aber selbstverständlich.« Irene sah noch immer besorgt aus.
    »Ich muß für ein paar Tage verreisen. Persönliche Angelegenheiten.« Dorothea drehte sich wieder zum Fenster. »Ich brauche einen Flug nach Lyon, am Flughafen einen Leihwagen.« Wo zum Teufel lag das Nest, in dem Martin hauste?
    »Morgen, so früh wie möglich.« Und ein Hotel. Gab es so was in dem Kaff? »Rückflug offen.«
    »Einen Mercedes?«
    Was denn sonst, hätte Dorothea fast geantwortet. Dann fiel ihr ein, weshalb sie nach Südfrankreich flog.
    »Um Himmels willen. Irgendwas Unauffälliges.«
    »Kein Problem.« Irene tippte sich mit dem Bleistift gegen die Vorderzähne, eine Angewohnheit, die Dorothea nicht schätzte.
    »Würdest du bitte…« begann sie.
    Dann sah sie, daß Irene Tränen in den Augen hatte. War die gute Seele überfordert? Verlangte sie zuviel von ihr? War sie gekränkt, weil sie die Beherrschung verloren hatte?
    »Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?« fragte die Sekretärin leise.
    Nach einer Schrecksekunde fragte sich Dorothea, womit sie soviel Loyalität verdient hatte.
    »Danke«, sagte sie. »Ich danke dir.«

11
    Beaulieu
    D ie schwarzen Krallen ragten vorwurfsvoll in den Himmel, der nackte Hals mit der Federkrause bog sich anmutig nach hinten, der Kamm lag schlaff auf der Seite, und der gelbe Schnabel war leicht geöffnet, als ob das Huhn noch hatte protestieren wollen. Alexa setzte das Messer an und schlitzte den gerupften Vogel auf. Dann griff sie in die Bauchhöhle. Es kam ihr stets wie ein Wunder vor, wie wohlgeordnet so ein Huhn im Inneren ist. Unter gelben Fettklumpen lagen Leber und Nieren und Herz sowie der Magen mit der kleinen giftgrünen Gallenblase. Sie löste die Innereien von der Karkasse und legte sie auf das Küchenbrett. Felis tanzte schon aufgeregt auf dem Kühlschrank. Alexa schnitt ihr den

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