Die Fotografin
das Sündenbabel.
»Und wer weiß, über wen sie sonst noch geheime Informationen gesammelt hat. Wer zuviel sieht…« Der Mann vom Zeitungsladen schürzte die Lippen und schüttelte das Haupt. Alle waren froh, daß das Verbrechen – so es denn eines war – endlich am richtigen Ort angekommen war. In der Hauptstadt, wo es hingehörte.
»Wenn man zu neugierig ist…«
»Wer weiß, wem sie noch gefährlich wurde…«
»Internationales Verbrechertum…«
Die Männer von Beaulieu berauschten sich an ihren Theorien über den üblichen Verdächtigen, den Fremden aus der Großstadt. Mein Dorf soll sauber bleiben, dachte Bremer. Wie vertraut das doch ist.
»Aber es hat niemand einen Verdächtigen gesehen, damals!« Einer durchbrach den Konsens.
»Also komm, François, was heißt hier verdächtig? Wir haben Fahrradfahrer, Touristen, jede Menge Fremder hier herumlaufen. Da kann doch auch ein Mörder drunter sein, wem würde das schon auffallen?«
Bremer guckte fasziniert zu, wie der Mann mit den Notizbüchern mit der einen Hand schrieb und sich mit dem Zeigefinger der anderen in der Nase bohrte.
»Sie ist im Oktober verschwunden. Da gibt es hier keine Touristen mehr.«
Die Männer redeten immer hitziger aufeinander ein, bis der junge Loulou protestierende Geräusche machte. Endlich gelang es Bremer, den Wirt auf sich aufmerksam zu machen. Der Mann riß sich nur mit Mühe los, um ihm hinter der Bar einen zweiten Grand Crème einzugießen.
Paul Bremer genoß die Szene. Er war auf Anhieb richtig gelandet. Er wußte sogar schon den Vornamen der Toten – Ada – und, daß sie Jüdin und Pariserin war.
Das Gespräch stockte. Loulou hatte den Kopf zurückgelegt und blinzelte dem Kondensstreifen hinterher, den ein unsichtbares Flugzeug an den Himmel zeichnete. Der Mann mit dem weißen Haar räusperte sich.
»Seltsam, daß es ausgerechnet dort gebrannt hat, wo Ada lag.«
»Zufall.«
»Schon, aber – wann brennt es schon mal im Bois de Peyrebelle? Dort ist es meistens zu feucht. Und Boisset…«
»Boisset hat von Brandstiftung gesprochen, das stimmt.«
Wieder redeten alle durcheinander.
Der Wirt hatte Bremer den Kaffee vor die Nase gestellt, ohne ihn anzusehen dabei. »Der Mörder ist zurückgekehrt«, verkündete er düster.
»Aber André! Wieso sollte ausgerechnet der Mörder ein Interesse daran haben, daß die Leiche gefunden wird?«
»Frag doch mal anders herum: Wer wußte, wo sie liegt, außer dem Mörder?« Alle schwiegen.
Schließlich stand der weißhaarige Mann auf, klopfte sich die Krümel von der Jacke und sagte:
»Ein Trauergottesdienst für Ada ist das mindeste.«
»Aber Lucien! Wenn sie doch nicht katholisch…« Der Weißhaarige brachte den Vorwitzigen mit einem strengen Blick zum Schweigen. Der Mann mit den Notizbüchern schrieb weiter und murmelte: »Sonntag, 11 Uhr.«
Nachdem der alte Herr, den alle Lucien nannten, gegangen war, verschwanden die Männer einer nach dem anderen. Auch die Gruppe von Touristen war fort. Bremer blickte in den blauen Himmel und glaubte zu spüren, wie sich die Hitze hoch über dem Dorf sammelte, bevor sie sich unerbittlich herabsenken und für den Rest des Tages alles Leben dämpfen würde.
Der Wirt stand noch immer an die Schiebetür gelehnt und sah in Ermangelung von Alternativen zu seinem einzigen verbliebenen Gast hinüber.
»Auf Urlaub?« fragte er.
Bremer beantwortete die üblichen Fragen nach dem Woher und Wie lange. Schließlich fragte er nach der Toten. Der Wirt hob die Schultern und ließ sie theatralisch wieder fallen.
»Es ist furchtbar, ganz furchtbar«, sagte er.
»Das hat es bei uns noch nie gegeben. Wo soll das bloß hinführen?«
Bremer nickte mitfühlend. »Sie war nicht von hier?«
»Neinnein – die Silbermanns hatten ein Ferienhaus in Beaulieu. Sie kamen aus Paris. Und Ada…« Monsieur André sah aus, als wolle er ein exquisites Geheimnis mit ihm teilen. »Ada war eine berühmte Frau. Kommen Sie mit«, sagte er.
Paul folgte dem Mann in den Gastraum der Bar. Die Wände waren früher einmal weiß gewesen, über der abgeschabten braunen Wandtäfelung hingen Bilder, Schwarzweißfotos aus alten Zeiten, »1913« stand unter einem Foto, das die Außenansicht der Bar zeigte. Viel schien sich seither nicht verändert zu haben.
»Hier«, sagte Monsieur und zeigte auf ein sichtlich neueres Foto, auch das schwarzweiß. Der Monsieur mit den weißen Haaren saß an dem Tisch, an dem er auch heute gesessen hatte. Maître André lehnte an der
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