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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Fenster, aber es mußte irgendwo einen Kamin geben, der die Luft ansaugte. Es war immer zugig hier unten, doch heute hatte sie das Gefühl, als ob ganze Heerscharen von Luftgeistern durchs Haus rasten. Als etwas Weiches ihr Bein berührte, schrie sie auf. Fast hätte sie hysterisch gelacht, als sie merkte, daß es Felis war, die aufgeregt maunzte und an der Tür zum Weinkeller kratzte. Wahrscheinlich eine Maus, dachte Alexa und stieß die schwere Tür auf. Felis raste hinein in die Dunkelheit. Alexa folgte ein paar Schritte und tastete auf dem Boden nach dem Stein, mit dem man die Tür offenhalten konnte. Zugleich leuchtete sie mit der Taschenlampe die Gewölbedecke ab. Als sie das erste Mal allein hier unten war, hatte sie sich zu Tode erschrocken, weil ihr eine aufgestörte Fledermaus entgegengeflattert und so nah an ihrem Gesicht vorbei aus der Kellertür geglitten war, daß sie den Luftzug spürte.
    Sie mußte beide Hände zur Hilfe nehmen, um den großen Wacker in Position zu bringen. Mit dem Hinterteil hielt sie die Tür auf, die Taschenlampe legte sie auf den staubigen Steinboden und dann packte sie zu. Im selben Moment hörte sie es rascheln und dann quieken. Mit einem Schrei stob Felis an ihr vorbei, wieder hinaus aus dem Keller, dem quiekenden Etwas hinterher. Vor Schreck ließ Alexa den Stein fallen. Als sie nach der Lampe greifen wollte, geriet die schwere Tür in Bewegung. Draußen krachte der Donner. Eine weitere mächtige Luftbö rauschte durch die Gewölbe. Die Tür fiel mit einem Geräusch ins Schloß, dessen Echo sich durch den ganzen Keller fortpflanzte.
    In der Stille nach dem hallenden Knall hörte Alexa draußen vor der Tür ein Klirren. Und dann klirrte es drinnen. Mit der Taschenlampe leuchtete sie dorthin, wo die Klinke sein mußte. Nichts. Durch die Türritzen fauchte der Wind.

4. BILD

1
    Beaulieu
    P aul Bremer zögerte vor der Tür zu Karens Hotelzimmer. Sollte er sie wecken? Oder ließ er sie besser ihren Rausch ausschlafen?
    »Es gibt nichts Schöneres als die deutsche Justiz.« Das war nach der ersten Flasche Merlot gewesen, die sie gestern abend gemeinsam auf Karens Zimmer getrunken hatten. »Gewaltenteilung – geregelte Verfahren – im Zweifel für den Angeklagten – keine Willkür…« Sie hatte die Arme ausgebreitet und ihn von unten angeguckt, eine Mischung aus Gläubigkeit und Selbstironie im Gesicht. Sie war rührend. Er hätte sie küssen mögen.
    »Oder kennst du was Besseres?« Natürlich nicht.
    »Jetzt findest du mich albern, stimmt’s?«
    Niemals.
    »Du verstehst doch, ja?«
    Klar verstand er. Er hörte den Vortrag alle paar Monate und konnte ihn nachbeten. Fehlte noch die Ode an die freie Gesellschaft und an die Gerechtigkeit – sie kam wie verabredet beim letzten Drittel der zweiten Flasche. Karen hatte leuchtende Augen und gerötete Wangen.
    Sie führten die Debatte seit Jahren, weshalb er sich den alltagspraktischen Hinweis schenkte, daß sich das Ideal der Wirklichkeit zu beugen hatte. Nicht umgekehrt. Und daß es nicht gerade förderlich war, sich in den Rechtsstaat zu verlieben anstatt endlich in einen vernünftigen Mann.
    Aber diesmal klang ihre Liebeserklärung an die deutsche Justiz wie Pfeifen im Keller. Es sah viel eher danach aus, als ob sie im Begriff war, ihren Glauben an die gepriesene Institution zu verlieren. Karen war in Tränen ausgebrochen, als sie ihm ihr zukünftiges Leben ausmalte. In der Abteilung für Jugend und Jugendschutzsachen. Zu Tode gelangweilt bei der Generalstaatsanwaltschaft. Oder, mit Buschzulage, im Balkan – Hilfe beim Aufbau von Recht & Gesetz… Er hatte ihr das Glas aus der Hand genommen, sie ins Bett geschickt und war schlafen gegangen.
    Bremer klopfte leise. Drinnen rührte sich nichts. Auch recht, dachte er, ging die Treppe hinunter, überquerte den Platz vor dem Hotel und nahm das gepflasterte Gäßchen hoch zum Café, die Zeitung unter dem Arm. Es gehörte zum Gefühl des Ausnahmezustands, im Urlaub über das Wetter zu Hause in der Zeitung von gestern zu lesen.
    Vor der Boulangerie gegenüber vom Café sah er die Menschen bis auf die Straße Schlange stehen. Das Café war heute, am Samstag vormittag, noch voller als gestern. Drinnen stand man drei Mann tief vor der Bar, draußen räkelten sich bleiche Neuankömmlinge in den Plastikstühlen, ein unerschrockenes Kleinkind versuchte, einen großen gescheckten Kater am Schwanz zu ziehen, und ein Mädchen, das wie eine einzige pubertäre Herausforderung aussah, maulte auf

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