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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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niederländisch seine Eltern an. Bremer schlängelte sich an Tischen und Stühlen und menschlichen Schicksalen vorbei nach innen. Gerade ein Tisch war noch frei.
    Der alte Herr, den sie Lucien nannten, saß an seinem Stammplatz – allein. Er starrte vor sich hin und schien nicht zu merken, daß seine unruhigen Finger das Croissant neben der leeren Kaffeetasse zu Spatzenfutter zerkleinerte. Er blickte erst auf, als der Wirt ihn auf die Schulter tippte.
    »Noch einen Kaffee?« fragte Monsieur André.
    Sein Stammkunde schüttelte den Kopf.
    »Reg dich nicht auf, Lucien. Sie ist nur einkaufen gefahren.«
    Andrés Gesichtsausdruck ließ erkennen, daß er den alten Herrn kindisch fand.
    »Ihr Auto steht da, wo es immer steht. Ich habe nachgesehen.«
    »Dann ist sie spazierengegangen.«
    »Die Katze.« Der Weißhaarige schüttelte wieder den Kopf. »Die Katze jammert schon den ganzen Morgen vor der Küchentür. Alexa hätte sie niemals ausgesperrt. Oder vergessen, sie zu füttern.«
    »Bist du denn mal rübergegangen?«
    »Was denkst denn du? Das Tor ist abgeschlossen.«
    Der Wirt beäugte das zerkrümelte Croissant, drehte die Augen himmelwärts, tätschelte dem Alten die Schulter und nahm die Bestellungen der Gäste am Nebentisch auf, die schon nach ihm winkten.
    »Ist jemand verschwunden?« fragte Bremer, als Monsieur André ihm den Milchkaffee brachte.
    »Ach was. Lucien Crespin hat einen Narren an seiner jungen Nachbarin gefressen, das ist alles.« André hatte schon gehen wollen, als er sich wieder umdrehte zu Paul. »Alexa Senger – kennen Sie sie? Sie ist auch Deutsche.«
    Deutschland hat über 80 Millionen Einwohner, hätte Paul fast geantwortet. Aber es kam ihm so vor, als hätte er den Namen tatsächlich schon einmal gehört.
    Kurz entschlossen nahm er seine Tasse und ging hinüber zu Monsieur Crespin. Der alte Herr nickte höflich, aber abwesend, als er ihn fragte, ob er sich zu ihm setzen dürfe.
    »Entschuldigen Sie bitte, daß ich zugehört habe, Monsieur.«
    Crespin wischte die Entschuldigung mit einer Handbewegung fort und sah Loulou hinterher, der mit ernster Miene einen Einkaufswagen mit Werbeprospekten hinter sich herzog und in jeden Briefkasten an der Straße eine oder, offenbar je nach persönlicher Zuneigung, drei oder vier bunte Broschüren stopfte.
    »Ihre Nachbarin ist verschwunden?«
    Crespins Schultern strafften sich. »Wahrscheinlich ist sie spazierengegangen«, sagte er und guckte an Bremer vorbei.
    Der gescheckte Kater hatte das kindliche Interesse an seinem Schwanz nicht lange geduldet, wie vorherzusehen war. Und jetzt schrie der Kleine wie am Spieß.
    »Die Tote, die man kürzlich gefunden hat.«
    Bremer wartete eine Weile, bis er Crespins Aufmerksamkeit hatte. »Ada Silbermann. Sie war Fotografin, nicht wahr?«
    Crespins Gesicht klarte auf.
    »Sie war großartig.« Dann senkte er die Stimme. »Und jetzt hat Alexa begonnen, zu fotografieren. Mit Adas Leica.«
    Die Eltern hatten ihr Kleinkind eingesammelt und waren gegangen. Man hörte nur noch das übliche Straßencafégemurmel, Stühlerücken, Lachen, Geschirrklappern. Bremer starrte den alten Herrn sprachlos an.
    Crespin lächelte, als ob das alles selbstverständlich sei. »Sie wohnt im Haus, das Ada und ihrem Mann gehört hat, wissen Sie.«
    Nichts wußte er. Aber plötzlich schien es ihm nicht mehr ganz so unwahrscheinlich, daß Crespins Nachbarin etwas passiert war.
    »Allein?« fragte er.
    Crespins Finger griffen wieder nach den Croissantkrümeln. »Sie ist zu oft allein. Das viele Geld – schön und gut. Aber erst lauter Familientragödien. Und dann verschwindet auch noch der Freund von einem Tag auf den anderen.«
    Bremer schloß seinen Mund, als er merkte, daß er ihm offenstand. Kein Wunder, daß ihm der Name vertraut vorgekommen war. Die Geschichte vom »Pech im Glück der Millionenerbin Alexa Senger«, einer jungen Frau, die erst auf tragische Weise ihren Vater und dann, nicht minder tragisch, Mutter und Stiefvater verlor, hatte vor einigen Jahren die Boulevardpresse wochenlang beschäftigt. Der Fall Senger wurde dem niederen Volk als anschauliches Beispiel für die Binsenweisheit dargeboten, daß Geld allein auch nicht glücklich macht.
    Der würdige alte Herr lächelte wie ein Vater, der vor Stolz auf die Streiche seiner Kinder schier platzte. »Daß auch Alexa plötzlich mit einem Fotoapparat durch die Gegend läuft, gefällt allerdings nicht jedem hier.«
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, schilderte Paul Monsieur

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