Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
Crespin die junge Frau, die er gestern gesehen hatte – auf dem Place des Platanes, dort, wo das Gäßchen links zur Hauptstraße hochführt.
    »Das ist sie. Sie wollte wahrscheinlich zu Philipp Persson.« Plötzlich war Crespin hellwach – ein Hund, der eine Fährte aufgenommen hat.
    »Philipp Persson?«
    »Auch ein Deutscher.« Crespin klang, als ob ihm eben erst aufgefallen wäre, wie viele Deutsche es in Beaulieu gab. »Gehen wir?«
    Bremer wollte nach Monsieur André winken, aber Crespin legte ihm die Hand auf den Arm.
    »André – alles auf mich!« rief er zur Bar hinüber und stand schon draußen auf dem Platz, während Bremer sich noch an Tischen und Stühlen vorbeifädelte.
    Crespin ging voraus. Vor der graugestrichenen Tür eines Steinhauses, das neben den anderen Giganten rechts und links schmal und unscheinbar wirkte, blieb er stehen. Bremer sah hinauf. Im obersten Stock war der Balkon zu sehen, auf dem gestern der Mann gesessen hatte, der Beethoven liebt. Heute saß niemand dort oben, war keine Musik zu hören. Ohne abzuwarten, ob jemand auf sein Klingeln reagierte, drehte der alte Herr den ovalen gußeisernen Griff, mit dem man die Türfalle bewegte. Die Tür ließ sich öffnen.
    »Philipp?« Crespins Stimme klang plötzlich heiser. »Philipp? Bist du da?«
    »Er schließt ab, wenn er unterwegs ist«, sagte er, zu Bremer gewandt. Paul folgte ihm in den dunklen Gang. Das Haus war weit größer, als es von außen schien.
    Durch die halbgeöffnete Tür rechter Hand sah man ein ungemachtes Bett, davor ein aufgeklappter Koffer, darin und daneben Pullover, Hemden, Hosen und Unterwäsche.
    »Philipp? Philipp!« Crespin ging schneller. Hinter der Tür am Ende des Gangs lag die Wohnküche, ein großer, freundlicher Raum mit Bücherregalen und einem langen einladenden Tisch. Links davon schien es zu einem weiteren Zimmer zu gehen; rechts, durch eine weit offen stehende Flügeltür, strömte Sonnenlicht in den Raum und tanzte über die dünne Staubschicht auf Büffet und Regalen.
    »Philipp?« Crespin ging hastig durch die Flügeltür, Bremer folgte ihm. Das Sonnenlicht fiel durch zwei Fenster und eine verglaste Balkontür in einen nicht sehr großen Raum. Paul blieb verblüfft im Türrahmen stehen. Nicht, daß er viel davon verstand – aber die Musikanlage sah nach HiFi der Luxusklasse aus. Auch die Stapel von Platten und CDs sprachen für eine ziemlich kostspielige Leidenschaft. Das rechte der beiden Fenster stand offen, auf dem Boden davor eine Wasserlache. Es hatte offenbar hereingeregnet. Das sprach dafür, daß seit dem großen Regen gestern abend nicht mehr aufgeräumt worden war. Und niemand hatte das Fenster geschlossen – also stand es wahrscheinlich bereits vor dem Beginn des Gewitters offen. Mindestens seit sieben Uhr abends, hieß das. Dann sah er die zerbrochene Blumenvase. Und das Küchenhandtuch, das über der Lehne des Sessels hing. Bremer faßte danach. Es war naß.
    Sein Blick wanderte über Verstärker und Plattenspieler und Boxen. Neben dem Sessel stand ein Tischchen, darauf ein halbgefülltes Weinglas. An der Wand hing ein Poster von Che Guevara, das berühmte, auf dem der bolivianische Revolutionär wie ein Popstar aussieht. Crespin neben ihm atmete nervös ein, als ob er Witterung aufnahm. Dann stieg auch Bremer der Geruch in die Nase. Es roch vertraut, ein bißchen so, wie abgestandener Kaffee riecht, nur süßlicher.
    Crespin machte einen Schritt zur Seite, und dann flüsterte er etwas, das wie eine Mischung aus Fluch und Gebet klang. Jetzt sah Bremer es auch. Halb verborgen vom Lehnstuhl lag jemand, man sah Füße in braunen Sandalen, Beine in Jeans.
    »Philipp?« Crespin wollte hinübergehen.
    »Nichts anfassen«, sagte Bremer und kam sich albern vor. Das hier war keine Fernsehserie. Aber er wußte mit einer Gewißheit, die er nicht für eine Sekunde bezweifelte, daß dort eine Leiche lag. Der Mann war nicht auf natürliche Weise gestorben – etwas, das wie eine Pistole aussah, lag neben ihm. In diesem Raum waren nur Paul Bremer und der alte Herr am Leben, der hilflos den Kopf schüttelte.
    »Aber sollten wir nicht…«
    Und die Fliegen – zwei dicke Brummer, nach dem Geräusch zu schließen. »Wer immer da liegt, ist tot. Glauben Sie mir.«
    Crespin atmete tief ein. »Bernard«, sagte er.
    »Ich muß Bernard Boisset anrufen.«
    Karen, dachte Bremer. Sie wird mir nie verzeihen, daß ich bei der Entdeckung der von ihr vorhergesagten Leiche dabei war und nicht sie.

2
    D orothea v.

Weitere Kostenlose Bücher