Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
hätte es wirklich nicht dauern dürfen.
Roseval lag mit einer Bauchverletzung inmitten der Trümmer und atmete schwer. Bei jedem Atemzug, erst in der einen und dann in der anderen Richtung, war ein Gurgeln zu hören wie von einer sich leerenden Dose. Salagnon blickte ihn möglichst selten an, vom Geräusch her wusste er, dass er noch lebte; er spielte mit den Scherben der Teller und umklammerte fest den Metallkolben seiner Waffe, der allmählich warm wurde. Er überwachte das Vorrücken der grauen Panzer, als könne seine ununterbrochene Aufmerksamkeit ihn schützen.
Und dann geschah das, was er sich so gewünscht hatte. Die Panzer fuhren wieder fort. Er hatte sie nicht aus den Augen gelassen, und plötzlich sah er, wie die Panzer kehrtmachten und hinter den mit Hecken umsäumten Wiesen verschwanden. Er wagte es nicht zu glauben. Und dann sah er die Panzer der Zuaven auftauchen, kleine, grüne Panzer mit abgerundeten Formen und kurzer Kanone, und sie waren zahlreich; Sherman-Panzer, wie er später erfuhr, und als er sie an jenem Tag zum ersten Mal sah, war er zutiefst erleichtert. Endlich konnte er die Augen schließen und tief durchatmen, ohne befürchten zu müssen, gesehen und getötet zu werden. Roseval, der nicht weit von ihm auf dem Boden lag, nahm nichts davon wahr. Er war sich nur noch seiner Schmerzen bewusst, stöhnte in abgehacktem Rhythmus und stand Todesqualen aus.
Dabei hatte alles gut begonnen; aber die motorisierten Zuaven trafen genau rechtzeitig ein. Als ihre Panzer unter den Bäumen, zwischen den Hecken und zwischen den halb zerstörten Häusern des Dorfes anhielten, konnten die Maquisarden auf deren Rumpf französische Worte lesen. Sie waren rechtzeitig eingetroffen.
Und dabei hatte alles gut begonnen. Der Juni hatte sie wieder aufleben lassen. Sie verbrachten ein paar Wochen in bewaffneter Freiheit, die sie über die langen grauen Wintermonate hinwegtrösteten. Pétain hatte ihnen höchstpersönlich wieder Mut gemacht, indem er ihnen Anlass zum Gespött bot, das sie hemmungslos ausnutzten. Am 7. Juni hielt er eine Rede, die in ganz Frankreich verteilt und auf Plakaten publik gemacht wurde. Der Colonel ließ die bewaffneten Maquisarden in kurzen Pfadfinderhosen in einer Reihe aufstellen und las sie ihnen vor. Sie hatten ihre verbrauchten Schuhe auf Hochglanz gebracht, die Kniestrümpfe hochgezogen und das Barett keck über ein Ohr gezogen, um ihre französische Gesinnung zum Ausdruck zu bringen.
Franzosen, vergrößern Sie nicht unser Unglück durch Handlungen, die tragische Vergeltungsmaßnahmen für Sie auszulösen drohen. Die unschuldige französische Bevölkerung würde deren Folgen erleiden müssen. Frankreich kann nur gerettet werden, wenn sich alle einer strengen Disziplin unterwerfen. Gehorchen Sie daher den Anweisungen der Regierung. Jeder muss seine Pflicht tun. Die Umstände der kriegerischen Auseinandersetzung können die deutsche Armee dazu zwingen, besondere Verfügungen in den Kampfgebieten zu treffen. Akzeptieren Sie diese Notwendigkeit.
Ein unverschämtes Freudengeheul begrüßte das Ende der Rede. Mit einer Hand hielten sie ihre geschulterte Maschinenpistole fest und mit der andern warfen sie ihr Barett in die Luft. »Hurra!«, schrien sie, »wir kommen!« Das Vorlesen der Rede endete in einem fröhlichen Durcheinander, jeder suchte sein Barett, sammelte es auf und setzte es schräg auf, ohne die geschulterte Waffe loszulassen, die mit der der andern zusammenstieß. »Habt ihr gehört, was der in Formalin schwimmende Tattergreis gesagt hat? Er macht den Mund hinter der Scheibe auf und zu wie ein Goldfisch in seinem Glas. Aber man hört nichts. Und wisst ihr auch warum? Weil er den Mund voller Formalin hat, das alte Wrack!«
Die Junisonne ließ das Gras glänzen, eine leichte Brise bewegte das junge Buchenlaub, und sie versuchten sich gegenseitig in Prahlereien zu übertreffen. »Was sagt er da? Wir sollen den toten Mann markieren? Dabei sind wir doch gar nicht tot, oder sind wir das etwa? Was sagt der alte Tattergreis in seinem Formalinbad? Wir sollen so tun, als sei nichts geschehen? Wir sollen die ausländischen Truppen sich auf unserem Boden untereinander bekämpfen lassen und den Kopf einziehen, um den Kugeln auszuweichen und zu den Deutschen ›ja, Monsieur‹ sagen? Er verlangt von uns, wir sollen uns verhalten wie die Schweizer, und das bei uns, obwohl in unseren Gärten gekämpft wird? Das darf nicht wahr sein. Wir haben später noch genug Zeit, um den toten Mann
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