Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
entkam dem unangenehmen Kerl und seinem Geruch nach Zigarrenrauch, ich entkam dem spöttischen Lächeln und der kerzengerade zwischen die Zähne gesteckten Zigarre jenes Mannes, der zu allem bereit war, damit jeder an seinem Platz bleibt. Ich machte mich davon, ohne etwas zu erwidern, schließlich hatte er mir keine Frage gestellt. Ich wüsste nicht, worüber ich mit ihm hätte diskutieren können. In Frankreich wird nicht diskutiert. Wir stellen nur unsere Gruppenidentität mit der ganzen Stärke, die unsere Unsicherheit erfordert, unter Beweis. Frankreich löst sich auf, die einzelnen Teile entfernen sich voneinander, derart unterschiedliche Gruppen wollen nicht mehr zusammenleben.
Ich lief die Straße entlang mit ins Leere gerichtetem Blick, um niemanden anzusehen, zog die Schultern ein, um der Luft weniger Widerstand zu bieten, und ging möglichst schnell, um Begegnungen zu vermeiden. Ich floh vor diesem unangenehmen Kerl, der mir die Ohren mit diesen abscheulichen Dingen vollgequatscht hatte, ohne etwas Genaues zu sagen und ohne dass ich protestierte. Ich lief die Straße entlang, umhüllt von einer kleinen Wolke des Gestanks, der aus den für kurze Zeit geöffneten Gullys der Sprache gedrungen war.
Ich erinnere mich sehr gut daran, woher dieser Satz stammt, ich erinnere mich wann und von wem er ausgesprochen wurde. »Ich habe euch zehn Jahre Ruhe gegeben«, sagte General Duval 1945. Die Dörfer an der kabylischen Küste wurden von der Marine bombardiert, die Dörfer im Landesinneren von der Luftwaffe. Während der Unruhen in Sétif wurde hundertzwei Europäern, das ist die genaue Anzahl, der Bauch aufgeschlitzt. Das ist keine Metapher: Ihnen wurde buchstäblich der Bauch mit mehr oder weniger scharfen Instrumenten aufgeschlitzt, ihre noch pochenden Eingeweide herausgerissen und auf dem Boden verstreut, während die Opfer noch immer schrien. Es wurden Waffen an all jene verteilt, die welche haben wollten. Polizisten, Soldaten und bewaffnete Hilfstruppen – also egal wer – zogen durch das Land. Sie metzelten aufs Geratewohl alle nieder, auf die sie stießen. Tausende von Muslimen wurden getötet, nur weil sie das Pech hatten, ihren Weg zu kreuzen. Man musste ihnen zeigen, wie stark Frankreich war. Ganze Straßen, Dörfer und Steppen in Algerien wurden mit Blut getränkt. Die Leute wurden getötet, wenn sie so aussahen, als verdienten sie es. »Wir haben zehn Jahre lang Ruhe.«
Es war ein schönes Massaker, das wir im Mai 1945 verübten. Mit blutverschmierten Händen konnten wir uns dem Lager der Siegermächte anschließen. Dafür waren wir stark genug. Wir haben im letzten Moment den Möglichkeiten der französischen Erfindungsgabe entsprechend unseren Teil zum allgemeinen Blutbad beigesteuert. Unsere Beteiligung war begeistert, zügellos, ein wenig salopp und allen zugänglich. Das Massaker war etwas verworren, die Beteiligten vermutlich betrunken, es trug den Stempel der furia francese . In dem Augenblick, da die Bilanz des großen Weltkriegs gezogen wurde, beteiligten wir uns an dem allgemeinen Blutbad, das den Nationen einen Platz in der Geschichte verlieh. Wir taten es mit französischer Erfindungsgabe, das hatte nichts mit dem gemein, was die Deutschen getan hatten, die es verstanden, die Morde zu programmieren und die Leichen – ganz oder zerstückelt – zu verbuchen. Und auch nichts mit dem, was die Engländer getan hatten, die sich hinter der Technik versteckten und den nachts aus großer Höhe abgeworfenen Bomben die ganze mörderische Arbeit überließen, sie sahen nicht eine einzige der Leichen, die im Aufblitzen von Phosphorregen zerstäubt wurden. Es hatte auch nichts mit dem zu tun, was die Russen getan hatten, die sich auf die tragische Kälte ihrer grandiosen Natur verließen, um die Massenvernichtung sicherzustellen; und auch nichts mit dem, was die von der Natur mit einer robusten bäuerlichen Gesundheit bedachten Serben getan hatten, die ihren Nachbarn mit dem Messer die Gurgel durchschnitten, so wie sie es mit dem Schwein taten, das sie lange ernährt und aufgezogen hatten; und nicht einmal mit dem, was die Japaner getan hatten, die den Gegner mit theatralischem Geheul und der Geste eines Fechtkämpfers mit dem Bajonett aufspießten. Dieses Massaker trug unseren Stempel, und so schlossen wir uns im letzten Moment dem Lager der Siegermächte an, indem wir unsere Hände mit Blut verschmierten. Dafür waren wir stark genug. »Zehn Jahre lang Ruhe«, verkündete uns General Duval. Der
Weitere Kostenlose Bücher