Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Kontakts ihrer Hand mit dem Jungen ganz steif blieb. Und sie sagte ganz laut zu den Mädchen, die sie begleiteten, er sei ein Vetter; laut genug, dass auch ich es hörte und alle anderen, die auf den Bus nach Voracieux-les-Bredins warteten.
Ich kenne diese Regeln nicht. Da wo die Metro zu Ende ist, grüßt man sich auf andere Weise, wie soll man denn zusammenleben, wenn die Gesten, die den Kontakt ermöglichen, nicht dieselben sind?
Zwei schwarze Schleier, die Menschen umschlossen, glitten vorüber. Sie bewegten sich gemeinsam voran, flatterten im Wind, verbargen alles. Satinierte Handschuhe verbargen die Finger, nur die Augen waren nicht verhüllt. Sie gingen zusammen an mir vorbei, aber ich sah nicht mehr von ihnen als ein Stück finsterer Nacht. Zwei Schleier mit Augen glitten durch den Busbahnhof. Das mussten wohl Frauen sein, die man nicht sehen durfte. Mein Blick hätte sie entehrt, so viel Wollust liegt darin. Denn die Figur der Frauen zu sehen, hätte meinen Körper erweckt, mich meine Einsamkeit spüren lassen, meine unbequeme Haltung auf dem verkratzten Schalensitz aus Plastik, hätte mich dazu veranlasst, aufzustehen, diesen anderen, von dem ich mir wünschte, er wäre wie ich, zu berühren und zu küssen. Sie nicht zu sehen, lässt meinen Körper ruhen, unempfindlich, als schliefe er, nur mit abstrakten Berechnungen beschäftigt. Die ausschließliche Herrschaft der Vernunft macht aus mir ein Ungeheuer.
Wie könnte ich die Belastung ertragen, die der andere darstellt, wenn das Begehren, das er in mir auslöst, nicht bewirkt, dass ich ihm alles verzeihe? Wie könnte ich mit jenen leben, denen ich begegne, wenn ich sie nicht mit dem Blick streifen, ihnen nicht mit den Augen folgen und mich nicht an ihrem Vorbeigehen erfreuen kann, denn allein ihr Anblick erweckt schon meinen Körper? Wie nur? Wenn Liebe zwischen uns nicht möglich ist, was bleibt uns dann?
Der mit einem schwarzen Sack verschleierte Andere privatisiert den Raum der Straße ein Stück weit. Er nimmt mir Platz weg. Er besetzt den Platz, an dem ich sein könnte; und ich habe nur die Möglichkeit, aus Versehen mit ihm zusammenstoßen oder ihm knurrend ausweichen, ich verliere meine Zeit mit ihm. Der Andere, den ich nicht mehr ansehen kann, stört mich nur. Er ist überflüssig. Ich kann mit jemandem, der nichts von sich preisgibt, nur eine vernunftgesteuerte Beziehung haben, und nichts ist unbeständiger als die Vernunft. Was bleibt uns, wenn wir uns nicht mehr wenigstens mit Blicken begehren können? Die Gewalt?
Die beiden schwarzen Schleier gingen gleichgültig die Bussteige entlang, ohne irgendjemanden zu berühren. Sie betrachteten einen Fahrplan und stiegen in einen Bus. Die Schleier lüfteten sich dabei etwas, und ich konnte ihre Füße erkennen. Der eine trug goldverzierte Frauenschuhe und der andere Männerschuhe. Der Bus fuhr ab, und ich freute mich, dass ich ihn nicht genommen hatte. Ich freute mich, dass ich nicht in einem Bus mit zwei dunklen Schleiern eingeschlossen war, von denen der eine Frauenschuhe und der andere Männerschuhe trug. Der Bus verschwand hinter der Kreuzung und ich habe nie erfahren, was anschließend geschah. Vermutlich nichts. Ich nahm noch ein Psychosomatropikum ein, denn meine Kopfschmerzen machten sich wieder bemerkbar, meine Kehle ertrug es nicht, dass ich etwas hinunterschluckte. Mit taten die Schleimhäute und der Schädel weh. Der Sitz des Denkens und der des Kontakts. Die Nachbarschaft wurde schmerzhaft, die Nähe eine Phobie, man beginnt plötzlich davon zu träumen, keinen Nachbarn mehr zu haben, alles um sich herum auszumerzen. Die Gewalt wird an der Kontaktoberfläche ausgeübt, dort taucht der Schmerz auf, von dort breitet sich die Zerstörungslust aus, und zwar im gleichen Tempo wie die Angst, zerstört zu werden. Die Schleimhäute entzünden sich.
Warum verbirgt sich jemand unter einem so großen Schleier? Wenn nicht, um dunkle Absichten zu hegen, um das Verschwinden der Körper anzukünden: durch Verbannung, durch Verneinung, durch ein Massengrab.
Salagnon lächelte mir zu. Er nahm meine Hand in die seine, die zugleich sanft und fest war, und lächelte mir zu. Oh, dieses Lächeln! Für dieses Lächeln verzeiht man ihm alles. Man vergisst seine harten Züge, seinen militärischen Haarschnitt, seinen kühlen Blick, seine furchtbare Vergangenheit, man vergisst all das Blut, das an seinen Händen klebt. Dieses Lächeln, das seine Lippen weicher werden lässt, wenn er mich empfängt, löscht
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