Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
alles aus. Wenn Victorien Salagnon so lächelt, ist er unverhüllt. Er sagt nichts, öffnet sich nur und erlaubt mir, einen leeren Raum zu betreten, einen jener herrlichen leeren Räume einer Wohnung, in die man noch nicht eingezogen und die nur von Sonne erfüllt ist. Seine hageren Züge schweben auf den Knochen seines Gesichts wie ein Seidenvorhang vor einem offenen Fenster, und die Sonne dahinter spielt mit den Falten, ein Luftzug bewegt ihn, trägt die fröhlichen Geräusche der Straße an mein Ohr, das Geflüster der schattigen Bäume voller Vögel.
Wenn er mir die Hand schüttelt, bin ich bereit, alles zu hören, was er mir sagen wird. Ich sage nichts. Das Begehren meiner Zunge ist ganz in meine Hände hinabgeglitten, ich habe kein anderes Sprachbegehren mehr, als einen Pinsel in die Hand zu nehmen, ihn in Tusche zu tauchen und ihn auf ein Blatt Papier zu setzen; meine einzige Lust ist ein Beben der Hände, ein körperliches Begehren, den Pinsel zu nehmen, und der erste schwarze Strich, der auf dem Blatt Papier auftauchen wird, wird mir eine Erleichterung sein, eine Entspannung meines ganzen Seins, ein Seufzer. Ich möchte, dass er mich auf dem Weg des einzigen Pinselstrichs anleitet, um mich wieder aufzurichten und unter meinen Händen die Pracht der Tusche zu entfalten.
Das dauert natürlich nicht an; solche Dinge sind von kurzer Dauer. Er öffnet mir und begrüßt mich, dann trennen sich unsere Hände, sein Lächeln verschwindet und ich trete ein. Er geht auf dem Flur vor mir her, ich folge ihm und schiele im Vorübergehen auf den Mist, den er an den Wänden hängen hat.
Er hat die Wände seines Hauses mit Bildern dekoriert. Andere Gegenstände stellt er ebenfalls aus. Die Tapete ist so überladen, die Beleuchtung so trüb, dass der Flur, in dem er vor mir hergeht, einer Grotte ähnelt, die Winkel wirken abgerundet, und man erkennt nicht sogleich, was auf den sich wiederholenden Tapetenmotiven hängt. In diesem Flur mache ich nicht halt, ich begnüge mich damit, ihm zu folgen, ich habe im Vorübergehen ein Barometer erkannt, dessen Zeiger sich auf »veränderlich« verhakt hat, eine Wanduhr mit römischen Ziffern, deren Zeiger sich, wie ich erst nach Monaten feststellte, nicht bewegten, und sogar einen ausgestopften Gemsenkopf, bei dem ich mich fragte, wie er dorthin gekommen war, ob er ihn gekauft hatte – aber wo? –, ob er ihn geerbt hatte – aber von wem? –, ob er er ihn selbst einem Tier abgeschnitten hatte, das er getötet hatte – aber wie? Ich weiß nicht, welche der drei Möglichkeiten bei mir die größte Übelkeit hervorrief. Ansonsten ruhten in grässlichen Rahmen, in gewundenen, vergoldeten Holzrahmen sehr düstere pseudo-holländische Landschaften, die man sich näher hätte ansehen müssen, um das Motiv und die schlechte Qualität beurteilen zu können, oder Ansichten aus der Provence voller unechter Freude in unangenehm schreienden Farben.
Ich hätte mir die Innenausstattung von Salagnons Haus anders vorgestellt; asiatische Nippfiguren, die Atmosphäre einer Kasbah oder auch gar nichts, eine weiße Leere und Fenster ohne Vorhänge. Ich hätte mir eine Innenausstattung vorgestellt, die irgendeinen, wenigstens einen minimalen Bezug zu ihm hatte, und sei es mit nur feinen Strichen, einen Bezug zu seiner Geschichte. Aber bestimmt nicht diese bis zum Rausch, ja bis zur Beklemmung gesteigerte Banalität. Die Inneneinrichtung einer Wohnung spiegelt die Seele ihrer Bewohner wider, heißt es, aber Euridice und Victorien Salagnon besaßen die Gabe, nichts von ihrer Seele preiszugeben.
Als ich es schließlich wagte, auf ein elendes Marinebild in Öl in einem gewachsten Holzrahmen zu zeigen, einer Sturmansicht an einer Felsenküste, bei dem die Felsen wie Bimsstein und die Wellen wie erstarrtes Harz wirkten (ich sage nichts zu dem Himmel, der nach nichts aussah), begnügte er sich mit einem entwaffnenden Lächeln.
»Das ist nicht von mir.«
»Mögen Sie das?«
»Nein. Das hängt nur an der Wand. Das ist reine Dekoration.«
Dekoration! Dieser Mann, der mit vibrierendem Pinsel malte, dessen Pinsel lebendig wurde, sobald er ihn mit Tusche nährte, dieser Mann also umgab sich mit »Dekoration«. Er lebte in dekorierten Zimmern. Er reproduzierte in seinem Zuhause den Katalog eines großen Einrichtungshauses von vor zwanzig oder dreißig Jahren, was weiß ich. Die Zeit war unwichtig, sie wurde in Abrede gestellt, sie verging nicht.
»Weißt du«, fügte er hinzu. »Diese Bilder werden in Asien
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