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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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und klopfte ihm auf den Schenkel. »Das ist eine Welt, die du nicht kennengelernt hast. Und Sie übrigens auch nicht«, fuhr er fort und wies dabei auf mich, ohne dass ich durch die grünen Brillengläser erkennen konnte, welcher Ausdruck in seinen Augen lag.
    »Umso besser«, sagte Salagnon, »denn dort ist so mancher auf idiotische oder auf grausame Weise verreckt. Und selbst die, die zurückgekommen sind, sind nicht unversehrt zurückgekommen. Die meisten haben dort Gliedmaßen, Stücke ihres Fleisches oder ganze Bereiche ihres Geistes verloren. Umso besser, wenn Sie noch an einem Stück sind.«
    »Aber auch schade zugleich, denn in Ihrem Leben gibt es nichts, das Ihnen als Schmiede hätte dienen können«, bemerkte Mariani. »Sie sind unversehrt wie am ersten Tag, man sieht noch die Originalverpackung. Die Verpackung schützt, aber verpackt zu leben, ist kein Leben.«
    Der junge Kerl räkelte sich mit finsterem Blick hin und her, dennoch war seiner Haltung eine gewisse Achtung anzumerken. Als die beiden alten Herren verstummten und sich lächelnd zuzwinkerten, konnte er endlich zu Wort kommen.
    »Das Straßenleben ist mindestens so gut wie Ihre Kolonien.« Er richtete sich in den Kissen auf, um eindrucksvoller zu erscheinen. »Ich kann Ihnen sagen, da geht’s heiß her, da verliert man schnell die Verpackung. Und man lernt Sachen, die man nicht in der Schule lernt.«
    Das war auf mich gemünzt, aber ich legte keinen Wert darauf, mich in diese Art von Unterhaltung einzumischen.
    »Du hast nicht ganz unrecht«, sagte Mariani belustigt darüber, dass der Kleine die Zähne bleckte. »Auf der Straße geht es allmählich so zu wie dort. Die Schmiede nähert sich, mein Kleiner, bald kann sich jeder zu Hause die ersten Sporen verdienen. Dann sehen wir, wer stark und wer schlaff ist und wer hart erscheint, aber beim ersten Schlag zusammenbricht. Genau wie damals.«
    Der junge Typ kochte innerlich und ballte die Fäuste. Der leichte Spott der beiden Männer versetzte ihn in Wut. Sie schlossen ihn im Spiel aus ihrer Runde aus, aber an wem sollte er seine Wut ablassen? An ihnen, obwohl sie ihm alles bedeuteten? An mir, obwohl ich ihm nichts bedeutete, außer dass ich sein Klassenfeind war? An sich selbst, obwohl er mangels Bewährungsproben nicht recht wusste, aus welchem Stoff er gemacht war?
    »Wir sind bereit«, knurrte er.
    »Ich hoffe, ich schockiere Sie nicht mit meinen Worten«, sagte Mariani mit einem Hauch von Ironie. »Aber das Leben in den Randgebieten der Großstädte verläuft ganz anders, als Sie es sich vorstellen. Wir leben praktisch in extraterritorialen Zonen. Das Gesetz ist nicht dasselbe, und das Leben ist anders. Aber auch bei Ihnen ändert sich etwas, denn in den Stadtzentren wimmelt es inzwischen von bewaffneten Banden aus den Vorstädten; sie schleichen sich Tag und Nacht ein. Sie sehen nicht, dass sie bewaffnet sind, aber sie sind es alle. Wenn man sie durchsuchen würde, wenn die Gesetze unserer laschen Republik uns erlauben würden, sie zu durchsuchen, würde man bei jedem ein Messer, einen Cutter und bei manchen eine Schusswaffe finden. Wenn uns die Polizei im Stich lässt, sich zurückzieht und die Vorstädte aufgibt, so wie wir es dort getan haben, dann stehen Sie allein da, so wie jene allein und umzingelt waren, die wir verteidigen sollten. Wir sind kolonisiert, junger Mann.«
    Der junge Typ neben ihm, der sich tief in die Kissen fläzte, nickte, er wagte nicht, etwas hinzuzufügen, denn er hielt einen Rülpser zurück, er bekräftigte jedes Argument mit einem Schluck aus der Flasche.
    »Wir sind kolonisiert. Man muss die Sache beim Namen nennen. Man muss den Mut haben, das Wort auszusprechen, denn es trifft die Sache genau. Niemand wagt es zu benutzen, aber es beschreibt genau unsere Situation: Wir befinden uns in einer Kolonialsituation, und wir sind die Kolonisierten. Nach so vielen Rückzügen musste das ja irgendwann mal kommen. Salagnon, erinnerst du dich noch, als wir durch den Wald abhauen mussten, mit den Vietminh auf dem Pelz? Wir mussten den Posten aufgeben, wenn wir nicht hopsgehen wollten, und haben ihn rennend verlassen. Damals erschien uns ein Rückzug ohne allzu viele Verluste noch wie ein Sieg, dafür konnte man sogar eine Medaille bekommen. Aber man muss die Dinge beim Namen nennen: Es handelte sich um eine Flucht. Wir sind geflohen und hatten die Vietminh auf dem Pelz, und wir fliehen noch immer. Jetzt sind wir bald im Zentrum, im Zentrum unserer eigenen Städte, und sind

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