Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Kaloyannis aus Bab el-Oued«, sagte Salagnon. »Sie hat es gelernt, wie man sich auf der Straße beschimpft, von Fenster zu Fenster. Sie kennt Schimpfwörter, die du dir gar nicht vorstellen kannst. Und wenn sie wütend wird, erfindet sie sogar noch welche.«
»Mariani tut gut daran, mir nicht in die Quere zu kommen. Soll er doch seine Kriege woanders zu Ende führen.«
Mit ihrer Einkaufstasche voller Gemüse in der Hand ging sie ins Haus und zog die Tür so energisch hinter sich zu, fast als wolle sie sie zuschlagen, aber nur fast. Salagnon klopfte mir auf die Schulter.
»Entspann dich. Alles ist gut verlaufen. Du hast mich durch den Garten getragen, ohne mich fallen zu lassen und du bist der Tigerin aus Bab el-Oued entkommen. Das ist ein bereichernder Tag, du hast ihn überlebt.«
»Mariani kann ich ja zur Not noch verstehen, aber warum gibt er sich denn mit solchen Typen ab?«
»Dem Rülpser? Der gehört der SIFF an, der Selbstverteidigungs-Initiative französischstämmiger Franzosen . Mariani ist der Ortsgruppenleiter. Und er hat seine Bluthunde um sich geschart, wie in Asien.«
»Mariani mit einem i ? Französischer Abstammung?«, sagte ich mit jener Ironie, derer man sich in solchen Fällen befleißigt.
»Die Physiologie der Abstammung ist eine komplizierte Sache.«
»Wir stammen doch nicht von Bäumen ab.«
»Schon möglich, aber die Abstammung lässt sich mit dem Ohr ermitteln. Das liest man, das weiß man. Das Einschätzen der Abstammung erfordert ein sehr feines Urteilsvermögen, das man jemandem, der das nicht spürt, nicht erklären kann.«
»Wenn man es nicht erklären kann, dann ist das Unsinn.«
»Wirklich wichtige Dinge lassen sich nicht erklären. Man begnügt sich damit, sie zu spüren und mit jenen zu leben, die das Gleiche spüren. Die Abstammung ist eine Frage des Gehörs.«
»Dann habe ich also kein Gehör, wollen Sie das damit sagen?«
»Ja, das ist eine Frage der Lebensweise. Du lebst derart unter Gleichgesinnten, dass du Unterschieden gegenüber blind bist. Wie Mariani, bevor er wegging. Aber was würdest du tun, wenn du hier, in einem Vorort lebtest? Oder wenn du in die Kolonien gegangen wärst? Weißt du das im Voraus? Man weiß nicht, was aus einem wird, wenn man wirklich woanders ist.«
»Wurzeln und Abstammung, das sind doch Torheiten. Der Stammbaum ist doch nur eine Metapher.«
»Sicher, aber so ist Mariani nun mal. Er hat eine verrückte Seite, aber auch eine, dank derer er mich getragen hat. Menschen mit einem Strich zu beurteilen, das kann ich nur mit dem Pinsel. Im Krieg konnte ich das auch; das war einfach und ohne Verschnörkelung: wir und sie. Und im Zweifel wurde eine willkürliche Entscheidung getroffen; das richtete zwar Schäden an, war aber einfach. In den Friedenszeiten, die wieder eingekehrt sind, geht das nicht so einfach zu, es sei denn man ist ungerecht und geht das Risiko ein, den Frieden zu zerstören. Und deshalb wollen manche wieder Krieg. Aber möchtest du nicht, dass wir jetzt malen?«
Er nahm mich am Arm und wir gingen hinein.
An jenem Tag lehrte er mich, wie man die Größe des Pinsels wählt. Er lehrte mich, wie man die Abmessung des Strichs wählt, die der Pinsel auf dem Blatt hinterlässt. Das erfordert nicht unbedingt langes Nachdenken, das kann mit der Geste verschmelzen, die Hand nach dem Arbeitsgerät auszustrecken, aber der Pinsel, den man wählt, bestimmt den Rhythmus, mit dem man malt. Er lehrte mich, die Größe meiner Striche zu wählen; er lehrte mich, den Maßstab meiner Handlung innerhalb der Fläche der Zeichnung festzulegen.
Er sagte mir das mit einfacheren Worten. Er forderte mich auf zu malen, und ich begriff, dass die Verwendung von Tusche eine musikalische Übung ist, ein Tanz der Hand, aber auch des ganzen Körpers, der Ausdruck eines Rhythmus, der weit über mich hinausgeht.
Um mit Tusche zu malen, benutzt man Tusche, und Tusche ist nichts anderes als Schwarz, eine brutale Abschaffung des Lichts, ihr Auslöschen auf der ganzen Spur des Pinsels. Der Pinsel trägt Schwarz auf, aber in der gleichen Bewegung taucht das Weiß auf. Das Auftauchen von Weiß und Schwarz ist simultan. Der mit Tusche getränkte Pinsel zeichnet eine dunkle Masse, die er auf dem Papier hinterlässt, er zeichnet aber auch das Weiß, das gleichzeitig zum Vorschein kommt. Die Menge der Borsten und die Menge der Tusche bestimmen die Breite des Pinselstrichs. Dieser füllt das Blatt auf bestimmte Weise, und entscheidend für das Gleichgewicht zwischen
Weitere Kostenlose Bücher