Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
stramme Haltung zur Schau stellten. Sie trugen saubere Uniformen, amerikanische Stahlhelme und bemühten sich den Blick geradeaus zu richten und ihre Waffen in männlicher Pose zu halten, aber sie alle hatten ein zitterndes Lächeln aufgesetzt, das ihr ganzes Gesicht einnahm. Jungen in Pfadfindertracht fuhren in frisch gestrichenen Autos hinterher, schwenkten Fahnen und die unterschiedlichsten Waffen. Offiziere in Jeeps schüttelten Hunderten von Menschen, die sie berühren wollten, die Hand, und bereiteten Panzern den Weg, die in weißer Farbe mit französischen Namen getauft worden waren. Danach folgten die Besiegten, Soldaten ohne Helm und ohne Koppel, die die Hände sehr hoch in die Luft streckten und darauf bedacht waren, keine schnelle Bewegung zu machen und keinem Blick zu begegnen. Anschließend kamen einige Frauen, umgeben von der Menge, die sich hinter ihnen schloss und dem Zug folgte, Frauen, die sich alle glichen, mit gesenktem Kopf und von Tränen zerfurchtem, derart verschlossenem Gesicht, dass sie nicht wiederzuerkennen waren. Sie bildeten das letzte Glied des Triumphzugs, und hinter ihnen strömten die Menschen, die zu beiden Seiten auf den Bürgersteigen gestanden hatten, mitten auf der Straße zusammen, um dem Zug zu folgen; alle liefen gemeinsam weiter, alle nahmen daran teil, eine Menschenmenge ging zwischen zwei Reihen dicht gedrängter Menschen hindurch, die Menge triumphierte und beklatschte ihren Sieg, eine glückliche Menge, die den niedergeschrienen, stumm daher laufenden Frauen folgte. Gemeinsam mit den besiegten Soldaten waren sie die Einzigen, die stumm blieben, aber im Unterschied zu den Soldaten wurden sie angerempelt und verlacht. Die bewaffneten Männer ringsumher hielten ihre Waffen in lächerlichen Posen und ließen die Menge spöttisch gewähren. Eine Armbinde diente ihnen als Uniform, sie trugen ein Barett schräg auf dem Kopf und einen offenen Kragen, ein Offizier mit einem Käppi führte sie auf einen Platz, wo sie einen Moment haltmachen würden, um die Schmähungen aufhören zu lassen. Anschließend würde alles auf einer anderen Grundlage neu beginnen, die gesünder, strenger und stärker sein würde. Die närrische Menge atmete in tiefen Zügen die Luft des Sommers ’44 ein, alle atmeten die freie Luft der Straßen, auf denen sich alles abspielte. Nie wieder würde Frankreich die Hure Deutschlands sein, die Tänzerin in Reizwäsche, die sich taumelnd auf dem Tisch entkleidet, betrunken vom Champagner; jetzt war Frankreich mannhaft und athletisch, Frankreich hatte sich erneuert.
Ein wenig abseits vom Triumphzug ertönten an diesem Nachmittag in Straßen, in Häusern mit offenen Türen, in leeren Räumen – alle waren draußen, Gardinen wehten vor den Fenstern, ein warmer Luftzug ging durch die Zimmer – einzelne Schüsse ohne Echo; Abrechnungen, Kapitaltransfer, Erschleichungen und Transporte; diskrete Herren entfernten sich mit Koffern durch Seitenstraßen, um sie an einen sicheren Ort zu bringen.
Es war ein schönes französisches Fest. Wenn man eine Rindersuppe kocht, gibt es einen bestimmten Moment, in dem sich die Quintessenz der Bouillon bildet; dazu muss die Suppe aufwallen, damit sich alles mischt, das Fleisch gart und die Fasern sich lösen: dabei kommt das Aroma zustande. Der Sommer ’44 war der entscheidende Moment, in dem die Suppe bei starker Flamme jenen Geschmack entwickelt, den das Gericht haben wird, das noch mehrere Stunden köcheln muss. Natürlich setzte der Frieden sehr bald wieder seine Siebe ein, und in den darauffolgenden Tagen wurden diese geduldig hin und her geschüttelt; die einfachen Leute glitten durch die Maschen und befanden sich an derselben Stelle wie zuvor, aber auf einem tieferen Niveau als die anderen. Alle wurden ihrem Durchmesser entsprechend gesiebt. Aber etwas hatte stattgefunden, das den Geschmack des Ganzen bestimmt hatte. Frankreich braucht Emotionen, die das ganze Volk erfassen, und regelmäßige Feste: alle nach draußen! Und dann gehen alle auf die Straße und eine neue Lust am Zusammenleben entsteht, die lange andauert. Denn wenn das nicht passiert, dann sind die Straßen leer, jeder bleibt für sich und fragt sich, mit wem er zusammenlebt.
In Lyon begannen die Blätter der Rosskastanien schon zu schrumpfen, der Laden befand sich selbstverständlich noch immer an derselben Stelle und war unversehrt. Eine große französische Flagge hing über der Tür. Sie bestand aus drei zusammengenähten Stoffbahnen, die nicht den
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