Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
richtigen Farbton besaßen, bis auf das Weiß, denn das war ein Bettlaken; aber das Blau war zu hell, und das Rot zu matt, die dafür verwendeten Stoffe waren zu verbraucht und zu verwaschen, aber in der Sonne, wenn die helle Sonne des Sommers ’44 hindurchschien, glänzten die Farben durchaus mit der notwendigen Stärke.
Sein Vater schien glücklich, ihn wiederzusehen. Er ließ ihn seine Mutter umarmen, lange und stumm, und dann schloss auch er ihn in die Arme. Danach nahm er ihn mit und öffnete eine staubige Flasche Wein.
»Die habe ich extra für deine Rückkehr aufbewahrt. Burgunder! Du warst doch in Burgund, oder?«
»Ich habe dir nicht hundertprozentig gehorcht.«
»Du hast von dir aus den richtigen Weg eingeschlagen. Darum habe ich nichts gesagt; und jetzt ist alles klar. Sieh nur«, sagte er und zeigte auf die Flagge, deren schlecht ausgesuchten blauen Stoff man vor der offenen Tür hin und her wehen sah.
»Hattest du den gleichen Weg eingeschlagen?«
»Die Wege gabeln sich und führen nicht dorthin, wohin sie zu führen scheinen … und jetzt haben sich unsere Wege wieder vereint. Sieh mal.«
Er öffnete eine Schublade, suchte etwas unter mehreren Stapeln Papier und legte dann einen Gürtel mit einem Revolver in einem Etui und eine Armbinde der Forces françaises de l’intérieur auf den Tisch.
»Hat man dir keine Scherereien gemacht?«
»Wer? Die Deutschen?«
»Nein … die anderen … wegen dem, was du vorher gemacht hast …«
»Ach so … ich habe alle notwendigen Geheimpapiere, die beweisen, dass ich die richtigen Leute beliefert habe. Und zwar schon seit ziemlich langer Zeit, damit meine Zugehörigkeit zur richtigen Seite nicht in Zweifel gezogen werden kann.«
»Hast du das tatsächlich getan?«
»Zumindest habe ich den entsprechenden Nachweis.«
»Und wie bist du an diesen Nachweis gekommen?«
»Du bist nicht der Einzige, der es versteht, Beweise herzustellen. Das ist sogar ein weit verbreitetes Talent.«
Dann zwinkerte er ihm zu. Genauso wie damals, und das rief bei Victorien dieselbe Wirkung hervor.
»Und der Typ von der Präfektur?«
»Ach … von irgendjemandem denunziert, was weiß ich, und dann im Gefängnis gelandet. Wie andere, die zu engen Kontakt mit den Deutschen hatten.«
Er holte den Revolver aus dem Etui aus abgenutztem Leder und musterte ihn fast liebevoll.
»Er ist schon benutzt worden, weißt du?«
Victorien sah ihn ungläubig an.
»Glaubst du mir das nicht?«
»Doch, doch. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er schon benutzt worden ist. Aber ich weiß nicht, wozu.«
»Ein richtig gehandhabter Revolver ist viel wirkungsvoller als eure Militärknarren. Hast du was Bestimmtes vor?«
Victorien stand auf und ging hinaus, ohne sich umzuwenden. Dabei verfing er sich in der Flagge, die über der Tür hing. Er zog daran, und die zu lockeren Nähte rissen, sodass eine aus drei losen Bahnen bestehende Flagge, für jede Farbe eine Bahn, hinter ihm in der Luft flatterte, um seinem Weggehen zu salutieren.
Victorien verbrachte den Sommer in der Uniform der Frei-Franzosen, man umarmte ihn, schüttelte ihm die Hand, lud ihn zum Trinken ein, bot ihm intime Kontakte an, die er manchmal zurückwies und manchmal akzeptierte. Man schickte ihn zu einem Offizierslehrgang, nach dessen Absolvierung er als Leutnant in der neuen französischen Armee aufgenommen werden sollte.
Im Herbst war er im Elsass. In einem Tannenwald bewachte er eine Festung aus mit Lehm verfugten Holzpfählen. Die Tannen wuchsen trotz des steilen Hangs aufgrund einer starken Drehung am Fuß ihres Stammes senkrecht in die Höhe. Gegen vier Uhr nachmittags herrschte bereits finstere Nacht, und es wurde nie wieder richtig Tag. Es wurde immer kälter. Die Deutschen flohen nicht mehr, sie hatten sich auf der anderen Seite des Hügels, auf dem anderen Hang verschanzt, und daher mussten die Höhen überwacht werden. Ihre Spähtrupps trugen laubfarbene Umhänge und wurden von Hunden begleitet, die nicht bellten, sondern nur mit der Schnauze anzeigten, was sie witterten. Sie schleuderten Handgranaten, um die Schützengräben in die Luft zu sprengen, nahmen junge Franzosen gefangen, die sich ein paar Wochen zuvor verpflichtet hatten, wohingegen sie nach so vielen Jahren gar nicht mehr wussten, was es hieß, ohne eine geladene Waffe im Arm zu schlafen.
Wenn es regnete, strömte das Wasser in Bächen unter dem Nadelteppich hinab, der Boden der Schützengräben bedeckte sich mit Schlamm, die Lehmfugen zwischen den
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