Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
der Kleider hergestellt werden und die sie in den Läden requiriert hatten. Sie wollten uns zeigen, wer sie waren, und nachdem uns die Japaner verjagt hatten, wollten auch wir ihnen zeigen, wer wir waren. Auf beiden Seiten war man stolz auf seine Fahne. Das war sehr heroisch, und anschließend sind sie abgehauen. Diese Fahne habe ich von einem jungen Mann, der sie vor uns geschwenkt hat und kurz darauf tot auf der mit Trümmern übersäten Straße lag. Ich glaube nicht, dass ich ihn getötet habe, aber bei Straßenkämpfen weiß man das nie so genau. Ich habe sie ihm abgenommen, um mein Buch zu schützen. Jetzt ist es gut untergebracht.
Diese Typen waren mir richtig unheimlich, beide. Der Nazioffizier in seiner Arroganz und dieser junge exaltierte Tonkinese. Ich habe sie beide erst lebendig und dann tot gesehen. Und beiden habe ich die Fahne abgenommen, die ich in Falten lege, um meinen Odysseus zu schützen. Diese Typen waren mir beide unheimlich, weil sie es vorzogen, eine leuchtend rote Fahne zu präsentieren, anstatt sich zu verstecken, um ihre Haut zu retten. Sie waren nur noch der Schaft, der eine Fahne hält, und dann waren sie tot. Das ist das Entsetzliche an politischen Systemen wie dem Faschismus und dem Kommunismus: Der Mensch zählt nicht mehr. In ihnen ist nur vom Menschen die Rede, aber in Wirklichkeit ist ihnen der Mensch scheißegal. Sie verehren den Menschen, wenn er tot ist. Ich dagegen führe Krieg, weil ich nicht die Zeit gehabt habe, etwas anderes zu lernen, und versuche, mich in den Dienst einer Sache zu stellen, die mir nicht allzu schlecht erscheint, nämlich Mensch zu bleiben, und zwar was mich selbst betrifft. Das Leben, das ich dort führe, erlaubt mir, Mensch zu sein und es zu bleiben. Und angesichts dessen, was man dort erlebt, ist das schon ein anspruchsvolles Vorhaben; das kann ein ganzes Leben ausfüllen und alle Kraft in Anspruch nehmen; und man ist sich nicht sicher, ob es einem gelingt.«
»Und wie ist das dort?«
»In Indochina? Wie auf dem Mars. Oder Neptun, was weiß ich. Das ist eine andere Welt, die nichts mit der unseren gemein hat: Stell dir ein Land vor, in dem der Begriff Festland keinen Sinn hat. Eine weiche, schmutzige Welt, in der sich alles vermischt. Der Schlamm des Deltas ist die unangenehmste Materie, die ich kenne. Darin bauen sie ihren Reis an, und der wächst in einem Tempo, dass dir angst und bange wird. Es wundert mich nicht, dass sie diesen Schlamm in Öfen brennen, um Ziegel daraus zu machen: das ist eine richtige Geisterbeschwörung, eine Feuertaufe, damit die Sache endlich stabil wird. Du brauchst radikale Rituale, tausend Grad im Backofen, um die Verzweiflung zu überwinden, die dich angesichts einer Erde überkommt, die sich dir ständig entzieht, sowohl was die Sicht angeht als auch die Berührung, unter den Füßen und unter den Händen. Es ist unmöglich, diesen Schlamm zu fassen, er ist pappig, weich, klebrig und stinkend.
Der Schlamm der Reisfelder klebt dir an den Beinen, saugt dir an den Füßen, breitet sich über Hände und Arme aus, er ist sogar auf der Stirn, als wärst du gestürzt; wenn du durch den Schlamm gehst, kriecht er an dir hoch. Und ringsumher summen Insekten, andere sirren, und alle stechen. Die Sonne ist drückend, man bemüht sich, sie nicht anzusehen, aber sie spiegelt sich in verletzenden Pailletten, die auf allen Pfützen glitzern, sie folgen deinem Blick und blenden dich immer, sogar wenn du den Blick senkst. Und dann der Gestank, der Schweiß rinnt dir aus den Achseln, zwischen den Beinen, in die Augen; trotzdem muss man marschieren. Und man darf nichts von der Ausrüstung verlieren, die auf unseren Schultern lastet, von den Waffen, die man sauber halten muss, damit sie stets funktionieren, und immer weitermarschieren, ohne auszurutschen, ohne zu fallen, und der Schlamm reicht dir bis an die Knie. Und dieser Schlamm ist nicht nur faulig, sondern die Leute, denen wir nachstellen, haben auch noch Fallen darin angebracht. Manchmal explodiert er. Manchmal gibt der Boden unter deinen Füßen nach und du gleitest zwanzig Zentimeter tiefer auf Bambusspitzen, die sich dir in den Fuß bohren. Manchmal geht ein Schuss aus einem Gebüsch am Rand eines Dorfes los oder hinter einem kleinen Damm, und ein Mann fällt. Dann eilst du zu der Stelle, wo der Schuss abgefeuert worden ist, du versuchst so schnell wie möglich in diesem dicken Schlamm voranzukommen, aber das geht nur ganz langsam, und wenn du ankommst, ist niemand mehr da, nicht
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