Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Silber war ein großer dunkelblauer Stein gefasst, er war von goldenen Fäden durchzogen, die sich zu bewegen schienen.
»Dieser Stein«, sagte Brioude und zeigte mit dem Finger darauf, »sieht aus wie ein Himmel in der Miniaturmalerei; alles ist da auf ganz kleinem Raum; eine aus einem Felsen gehauene romanische Kapelle, in der der Himmel durch einen Stein dargestellt wird.«
»Nun übertreib’s aber nicht, es ist nur ein Stein. Ein Lapislazuli aus Afghanistan. Ich habe nie an eine Kapelle dabei gedacht, aber im Grunde hast du recht. Ich sehe ihn oft an, und wenn ich das tue, empfinde ich dabei die heitere Ruhe einer Meditation. Meine Seele versetzt sich in den Stein und betrachtet das Blau, und dann kommt er mir so groß wie der Himmel vor.«
»Der Himmel ist so groß, dass er in die kleinsten Dinge hineinschlüpfen kann.«
»Ihr Priester seid fantastisch. Ihr redet so gewandt, dass man euch überall hört. Eure Worte sind so flüssig, dass sie überall eindringen. Und mit diesen schönen Worten übertüncht ihr alles in euren Farben, einer Mischung aus Himmelblau und byzantinischem Gold, das mit dem gelblichen Ton der Sakristei ein wenig gemildert wird. Du nennst das Leben Gott, und auch die Schönheit; meinen Ring eine Kapelle; und die Armut Existenz. Und wenn du das sagst, glaubt man dir. Und dieser Glaube hält so lange an, wie du sprichst.
Aber das ist nur ein Ring, Brioude. Ich reise im Auftrag des Musée de l’Homme durch Zentralasien. Ich sende ihnen Gegenstände und erkläre deren Gebrauch, und sie zeigen das einem Publikum, das Frankreich nie verlässt. Ich unternehme weite Reisen, lerne Sprachen, freunde mich mit seltsamen Menschen an und habe den Eindruck, als zöge ich durch eine Welt von vor tausend Jahren. Ich berühre die Ewigkeit. Aber ich verstehe, was du sagst. In Afghanistan zum Beispiel sind die Menschen ihrer Umwelt nicht gewachsen; es ist ganz einfach ein Problem des Maßstabs. Der Mensch ist zu klein auf diesen kahlen, viel zu hohen Bergen. Wie machen sie das nur? Ihre Häuser bestehen aus ringsumher aufgesammelten Steinen, man sieht sie nicht. Sie tragen staubfarbene Kleider, und wenn sie sich in die Decke rollen, die ihnen als Mantel dient, verschwinden sie. Was kann man tun, um in einer Welt zu existieren, die noch nicht einmal ausgesprochen feindlich ist, sondern den Menschen ganz einfach negiert?
Sie schreiten, sie wandern durch die Berge, sie besitzen winzige Gegenstände, in denen sich die ganze menschliche Schönheit konzentriert, und wenn sie reden, sagen sie in wenigen Worten Dinge, die einem direkt zu Herzen gehen. Ringe wie dieser werden von Männern getragen, die große Feinfühligkeit und unglaubliche Rohheit in sich vereinen. Sie legen Wert darauf, ihre Augen mit Kajal zu umranden, ihren Bart zu färben, und sie haben ihre Waffe stets griffbereit. Sie tragen eine Blume hinter dem Ohr, und wenn sie mit einem Freund spazieren gehen, halten sie sich an der Hand, sie achten ihre Frauen geringer als ihre Esel. Sie massakrieren brutal alle Eindringlinge, und scheuen keine Mühe, um dich wie einen sehr geliebten, entfernten Vetter zu empfangen, der endlich zurückkehrt. Ich verstehe diese Leute nicht, sie verstehen mich nicht, aber ich verbringe jetzt mein Leben mit ihnen.
An dem Tag, als ich das erste Mal diesen Ring trug, habe ich einen Mann getroffen. Ich bin ihm auf einem Pass begegnet, einem nicht sehr hohen Pass, auf dem ein einzelner Baum wuchs. Vor dem Baum stand ein Haus am Rand der Straße. Wenn ich Straße sage, dann meine ich damit einen steinigen Weg; und wenn ich Haus sage, dann müsst ihr euch darunter einen Steinverhau mit flachem Dach vorstellen, mit wenig Öffnungen, einem sehr schmalen Fenster und einer Tür, die in das dunkle Innere führt, in dem es nach Rauch riecht. An dieser Stelle auf der Passhöhe, wo die Straße, die da hinaufführt, ein wenig zögert, ehe sie auf der anderen Seite wieder hinabführt, ist ein Teehaus entstanden, in dem sich die Reisenden ausruhen können. Der Mann, von dem ich euch erzähle und den ich an jenem Tag dort kennengelernt habe, empfing die Menschen, die da hinaufwanderten, und bewirtete sie mit Tee. Er hatte das Gesprächsbett unter den Baum gestellt. Ich weiß nicht, ob dieses Möbelstück in irgendeiner europäischen Sprache einen Namen hat. Es besteht aus einem mit Seilen bespannten Holzrahmen auf Füßen. Man kann darauf schlafen, aber meistens setzt man sich im Schneidersitz allein oder zu mehreren darauf und
Weitere Kostenlose Bücher