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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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ist ein Zeichen dafür, dass wir nicht so tun, als sei nichts geschehen. Wir haben das Schlimmste erlebt und streben jetzt eine bessere Welt an. Wir blicken nicht zurück.«
    »Nur mit dem Unterschied, dass meine Magerkeit nicht gewollt ist«, sagte Salagnon. »Du bleibst mager wegen deiner asketischen Lebensweise, du hast schon das Gesicht eines Heiligen; bei Montbellet ist es die Abenteuerlust; aber bei mir ist der Grund nur die Armut, ich sehe nur wie ein armer Kerl aus.«
    »Salagnon! ›Der einzige Reichtum, den es gibt, sind die Menschen.‹ Kennst du den Satz? Der ist schon vierhundert Jahre alt, aber er enthält eine Wahrheit, die sich nicht ändert, wunderbar ausgedrückt in wenigen Worten. ›Der einzige Reichtum, den es gibt, sind die Menschen‹, hör dir an, was dieser Satz 1946 aussagt. In dem Moment, da man die mächtigsten Mittel eingesetzt hat, um den Menschen zu zerstören, physisch und moralisch, genau in diesem Moment stellt man fest, dass es keine anderen Ressourcen, keinen andern Reichtum, keine andere Macht gibt als den Menschen. Die Matrosen, die in eiserne Kisten eingeschlossen waren, die versenkt wurden, die Soldaten, die bei lebendigem Leib von einem Bombenteppich begraben wurden, die Gefangenen, die man absichtlich verhungern ließ, die Menschen, die man dazu zwang, sich morbiden Systemen anzupassen, haben trotz allem überlebt. Nicht alle, aber viele haben das Unmenschliche überlebt. In Situationen, die vom materiellen Standpunkt aus gesehen, verzweifelt waren, haben sie einzig und allein dank ihres Mutes überlebt. Heute will man von diesem Überleben, das an ein Wunder grenzt, nichts mehr wissen, das flößt zu große Angst ein. Es ist erschreckend, der Zerstörung so knapp entkommen zu sein, aber das unbesiegbare Leben, das sich im letzten Moment behauptet, ist noch erschreckender. Die Kriegsmaschine mit ihrer modernen Technik war im Begriff uns zu zermalmen, und im letzten Augenblick rettet uns das Leben. Das Leben hat materiell gesehen keinerlei Gewicht, und dennoch hat es uns vor der grenzenlosen Materie gerettet, die sich bemühte, uns zu zermalmen. Wie lässt sich das erklären, wenn nicht durch ein Wunder? Oder durch das Einwirken eines der fundamentalen Gesetze des Universums? Damit dieses Leben aufflackert, muss man der grauenhaften Zerstörungsverheißung die Stirn bieten; man kann verstehen, dass das unerträglich ist. Das Leiden hat das Leben hervorsprudeln lassen; mehr Leiden, mehr Leben. Aber das ist zu hart, man zieht es vor, sich zu bereichern und sich mit dem zu verbünden, was uns zermalmen wollte. Das Leben kommt nicht aus der Materie, nicht aus der modernen Technik und nicht aus dem Reichtum. Es entspringt der materiellen Leere, der totalen Armut, die man gutheißen muss. Als lebendige Menschen verkörpern wir den Protest gegen den überfüllten Raum. Die Fülle, die Überfülle leistet unserer Vollkommenheit Widerstand. Man muss eine Leere schaffen, damit der Mensch wieder neu erstehen kann; und diese Zustimmung zur Leere, die uns im letzten Augenblick vor dem drohenden Zermalmen rettet, ist die schrecklichste Angst, die man sich vorstellen kann; und die muss man überwinden. Der Zwang des Krieges hat uns den Mut dazu gegeben; der Frieden entfernt uns davon.«
    »Sagen die Kommunisten nicht das Gleiche: dass nur der Mensch zählt?«
    »Sie sprechen vom Menschen im Allgemeinen. Von einem am Fabrikfließband geprägten Menschen. Sie verwenden nicht einmal mehr das Wort Volk: die Massen, sagen sie. Ich dagegen betrachte jeden Menschen als einzigartige Quelle des Lebens. Jeder Mensch ist es wert, gerettet und verschont zu werden, niemand ist ersetzbar, denn zu jedem Zeitpunkt kann das Leben aus ihm hervorbrechen, vor allem wenn er zermalmt zu werden droht, und das Leben, das aus einem einzigen Menschen hervorbricht, ist das ganze Leben. Dieses Leben kann man auch Gott nennen.«
    Montbellet lächelte, breitete die Hände ein wenig aus und sagte: »Warum nicht?«
    »Glaubst du an Gott, Montbellet?«
    »Ich brauche ihn nicht. Der Welt geht es auch ohne ihn gut. Die Schönheit hilft mir mehr im Leben.«
    »Die Schönheit kann man auch Gott nennen.«
    Er machte die gleiche aufnahmebereite Handbewegung und sagte noch einmal: »Warum nicht?«
    Der Ring, den er am linken Ringfinger trug, unterstrich jede seiner Handbewegungen. Der stark verziert Ring aus Altsilber hatte nichts Weibliches. Salagnon hatte einen solchen Ring noch nie gesehen. In dem mit Ornamenten verzierten

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