Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
spiegelglatt; er glänzte wie ein mit braunem Öl gefettetes Blech, und darauf glitten die Kähne, die die Soldaten transportierten, und ließen hinter ihrem Heck eine schmutzige Brühe zurück. Der geradlinige Horizont war sehr niedrig, auch der Himmel wirkte sehr niedrig und war an den Rändern ziemlich fahl, und deutlich umrissene weiße Wolken hingen in der Luft, ohne sich zu bewegen. Was Salagnon vor sich sah, war so flach, dass er sich fragte, wie er darauf Fuß fassen und stehen bleiben könne. Im Laderaum des Kahns dösten die von der Überfahrt und der Hitze erschöpften jungen Soldaten auf ihrem Seesack, umgeben vom süßlichen Schlammgeruch, der aus dem Fluss aufstieg. Am Heck überwachten Typen in Shorts und mit gebräuntem nacktem Oberkörper das Ufer mit einem auf eine drehbare Achse geschmiedeten Maschinengewehr; sie sagten kein Wort. Ihr Gesichtsausdruck war verschlossen, sie schenkten diesen unerfahrenen jungen Soldaten keinen Blick, dieser Schar bleicher, sauberer junger Männer, für deren Transport sie verantwortlich waren, und von der bald die Hälfte fehlen würde. Salagnon wusste noch nicht, dass sein Gesicht in ein paar Monaten genauso aussehen würde. Der Schiffsmotor dröhnte auf dem Wasser, die gepanzerten Platten vibrierten unter den Männern, und der laute, ununterbrochene Lärm verlor sich in der enormen Breite des Mekong, denn er traf auf nichts, nicht auf das geringste Hindernis, das ihn hätte zurückwerfen können. Eng an die anderen gepresst, ebenso stumm wie sie, und wie sie immer kurz davor, sich übergeben zu müssen, fühlte sich Salagnon während der ganzen Fahrt nach Saigon in einer Hölle der Einsamkeit.
Er wurde von einem greisen Veteranen aus Kotschinchina vorgeladen, der eine ganz genaue Vorstellung von der Kriegsführung hatte. Oberst Duroc lag auf einem chinesischen Sofa in seinem Büro, als er Salagnon empfing, und bot ihm Champagner an, der kühl blieb, bis die Eiswürfel im Kübel geschmolzen waren. Seine prächtige weiße Uniform mit den zahlreichen goldenen Nähten war ihm ein wenig zu eng, der Ventilator über ihm zerstäubte seinen Schweiß und verbreitete in dem Raum seinen Geruch nach ranzigem Fett und Kölnisch Wasser; je höher draußen die tropische Sonne stieg und blendendes Licht durch die Spalten der geschlossenen Fensterläden in den Raum dringen ließ, desto stärker wurde dieser Geruch. Der Oberst zeigte ihm etwas ganz Kleines, das zwischen seinen Wurstfingern verschwand.
»Wissen Sie, wie die Leute hier Guten Tag sagen? Sie fragen sich gegenseitig, ob sie Reis gegessen haben. Das ist genau der Punkt, wo wir sie schlagen können, wir müssen uns mit aller Kraft darauf stützen.«
Er drückte die Finger zusammen, sodass sie sich in Falten legten, doch Salagnon begriff, dass er ihm ein Reiskorn zeigte.
»Junger Mann, wir müssen hier den Reis unter Kontrolle bekommen!«, sagte er begeistert. »Denn in diesem Land von Hungerleidern wird alles an Reis bemessen: die Anzahl der Menschen, die Größe der Ländereien, der Wert der Erbschaften und die Dauer der Reisen. Diese Maßeinheit für alles wächst im Schlamm des Mekong-Deltas; wenn wir daher den Reis, der das Delta verlässt, unter Kontrolle bekommen, ersticken wir die Rebellion, so als würde man einer Feuersbrunst den Sauerstoff entziehen. Das ist reine Physik, Mathematik, Logik oder was immer Sie wollen: Wenn wir den Reis unter Kontrolle bekommen, schlagen wir sie.«
Die Speckfalten in seinem Gesicht verwischten seine Züge und verliehen ihm ungewollt eine unerschütterliche, leicht erfreute Miene; und wenn er die Augen zukniff, ganz gleich aus welchem Grund, verliehen sie ihm annamitische Züge, er sah aus wie jemand, der sich seiner Sache sicher war. Das Land war groß, die Bevölkerung bestenfalls gleichgültig, die Soldaten nicht sehr zahlreich und das Material veraltet, aber er hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, wie man in Asien einen Krieg gewann. Er lebte schon so lange dort, dass er sich mit dem Land verwachsen fühlte. »Ich bin kein waschechter Franzose mehr«, sagte er mit einem leisen Lachen, »aber immer noch Franzose genug, um die Schätzungen unseres Nachrichtendienstes zu verwenden. Die Subtilität Asiens und die Präzision Europas: Wenn man die Erfindungsgabe der beiden Welten miteinander vermischt, können wir große Dinge leisten.« Mit der Spitze seines Bleistifts tippte er auf den Bericht, der neben dem Champagnerkübel lag, und die Selbstsicherheit seiner Geste kam
Weitere Kostenlose Bücher