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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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sich an. Er war in der Bar des Hotels verabredet, »nach der Messe«, wie man ihm gesagt hatte, der Messe in der Kathedrale, in der Bar des Grand Hôtel du Tonkin, einer seltsamen Mischung aus französischer Provinz und ferner Kolonie. In Saigon musste man wegen des grellen hellgelben, von farbigen Flecken durchsetzten Lichts die Augen zusammenkneifen; in Hanoi war das Licht einfach grau, an manchen Tagen hässlich grau und an anderen schön melancholisch grau, und die Leute dort trugen nur schwarze Kleider. Der Verkehr staute sich in den von Waren, Karren, Fahrzeugkolonnen und Lastwagen verstopften Straßen ebenso wie in Saigon, aber in Hanoi wurde mit großem Ernst gearbeitet, über den man sich anderswo ein wenig lustig machte; in Hanoi wurde gearbeitet, ohne dass man je das Ziel aus den Augen verlor, selbst der Krieg wurde hier mit Ernst betrieben. Die Soldaten waren magerer, kräftiger und angespannter wie vibrierende Drahtseile, der Blick in den vor Erschöpfung tief in den Höhlen liegenden Augen war durchdringend; sie liefen mit schnellen, eiligen Schritten, und ihre Bewegungen waren sparsam, ohne überflüssige Geste, als ginge es in jedem Moment um eine Entscheidung über Leben und Tod. In ihren abgetragenen Uniformen von unauffälligem Farbton stellten sie nie etwas Fernöstliches oder Dekoratives zur Schau, sie liefen herum wie Pfadfinder, Forschungsreisende oder Bergsteiger. Man hätte ihnen in den Alpen, mitten in der Sahara oder in der Arktis begegnen können, wie sie allein steinige oder vereiste Flächen durchquerten, mit immer der gleichen Spannung im Blick, der gleichen begierigen Magerkeit und mit den gleichen sparsamen Bewegungen, denn in einer solchen Umgebung erlaubt nur die Genauigkeit zu überleben, und jeder Irrtum ist fatal. Aber das sollte er erst später kennenlernen, als er bereits ein anderer geworden war; das Erste, was er von Indochina wahrnahm, war dieser von heißem Wasser vollgesogene Wattebausch, der ganz Saigon erfüllte und ihn halb ersticken ließ.
    Die Hitze, die das Leben in den Kolonien zur Plage machen kann, war zum ersten Mal in Ägypten da, in dem Augenblick, als die Pasteur , die die Schiffsverbindung mit Indochina gewährleistete, in den Sueskanal hineinfuhr. Der Truppentransporter fuhr in verlangsamtem Tempo durch die Wasserstraße. Der Seewind hatte sich gelegt, sie befanden sich nicht mehr auf hoher See, und es war so heiß auf dem Oberdeck, dass es gefährlich wurde, die Metallteile zu berühren. Auf den Zwischendecks mit all den jungen Männern, die Afrika noch nie gesehen hatten, konnte man kaum noch atmen, die Hitze war derart unerträglich, dass mehrere Soldaten in Ohnmacht fielen. Der Kolonialarzt wiederbelebte sie brutal und schnauzte sie an, um ihnen ein für alle Mal klarzumachen: »Von jetzt an nie mehr ohne den Dschungelhut und nehmen Sie Salztabletten, wenn Sie nicht auf saudumme Weise abkratzen wollen. Es wäre wirklich zu blöd, in den Krieg zu ziehen und an einem Sonnenstich zu sterben, stellen Sie sich vor, wie der Bericht aussieht, der Ihrer Familie zugeschickt wird. Wenn Sie dort sterben, bemühen Sie sich gefälligst, auf korrekte Weise zu sterben.« Nachdem sie Sues passiert hatten, erfasste die jungen Männer, die auf allen Decks zusammengepfercht waren, Melancholie; erst jetzt wurde ihnen klar, dass nicht alle zurückkommen würden.
    Nachts waren laute, platschende Geräusche in der Nähe des Schiffsrumpfs zu hören. Das Gerücht verbreitete sich, dass mehrere Legionäre desertiert seien. Sie sprangen ins Wasser, schwammen ans Ufer des Kanals, stiegen an Land und liefen pudelnass durch die dunkle Wüste einem anderen Schicksal entgegen, man würde nie wieder von ihnen hören. Unteroffiziere machten Rundgänge an Deck, um die Soldaten daran zu hindern, ins Wasser zu springen. Im Roten Meer kam wieder eine Brise auf, sodass den Soldaten ein qualvoller Tod unter Ägyptens praller Sonne erspart blieb. Aber in Saigon erwartete sie die Hitze in einer anderen Form, wie im Schwitzkasten, im Dampfbad oder in einem Schnellkochtopf. Dessen Deckel wurde während ihres ganzen Aufenthalts nicht mehr geöffnet.
    In Vu˜ng Tàu verließen sie die Pasteur und fuhren den Mekong hinauf. Der Name bezauberte Salagnon und auch das Verb: »den Mekong hinauffahren.« Als er den Namen und das Verb zusammen aussprach, empfand er das glückliche Gefühl, in der Fremde zu sein und ein Abenteuer zu beginnen, ein Gefühl, das sehr schnell verschwand. Der breite Strom war

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