Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
einem Nachweis gleich. Die Zahlen sagten alles über den Reishandel aus: die Produktionsmenge im Anbaugebiet des Deltas, das Fassungsvermögen der Dschunken und Sampans, der tägliche Verbrauch der Kämpfer, die Transportkapazität der Kulis und ihre Marschgeschwindigkeit. Und wenn man all das miteinander in Beziehung setzte, dann wurde klar, dass man nur einen gewissen Prozentsatz der Reismenge, die aus dem Delta verschifft wurde, beschlagnahmen musste, um den Reishahn ein bisschen mehr zuzudrehen und die Vietminh auszuhungern. »Und wenn sie vor Hunger verrecken, steigen sie aus ihren Bergen herab und kommen in die Ebene, und da zermalmen wie sie, denn da sind wir die Stärkeren.«
Dieser köstliche Greis wurde immer angeregter, während er seinen Plan vortrug, der Ventilator über ihm drehte sich und verbreitete seinen feuchten Geruch, den warmen, parfümierten, leicht ekelerregenden Geruch eines hiesigen Flusses; hinter ihm hing eine große Karte von Kotschinchina an der Wand, auf der es von roten Strichen wimmelte, die ebenso sicher den Sieg anzeigten wie der Pfeil eine Richtung. Er beschloss seine Beweisführung mit einem verständnisinnigen Lächeln, das eine furchtbare Wirkung hatte: Sein Kinn legte sich in zahllose Falten, aus denen noch mehr Schweiß drang. Aber dieser Mann besaß die Macht, militärische Mittel zu gewähren. Mit einem Federstrich bewilligte er Oberleutnant Salagnon vier Männer und eine Dschunke, um die Reisschlacht zu gewinnen.
Draußen tauchte Victorien Salagnon in das geschmolzene Harz der Straße, in die sengend heiße Luft, die an allem kleben blieb und von kräftigen, beißenden Gerüchen durchzogen wurde. Manche dieser Gerüche hatte er noch nie gespürt und er wusste nicht einmal, dass es sie gab; sie waren derart aufdringlich und reichhaltig, dass sie zudem noch Geschmack, Kontakt und Objekt waren, sie hatten eine Sekretion flüchtiger, melodischer Materien in ihrem Inneren. Darin vermischte sich Pflanzliches und Fleisch, es konnte der Geruch einer riesigen Blume mit Blütenblättern aus Fleisch sein, der Geruch, den ein von Saft und Nektar triefendes Stück Fleisch haben könnte, in das man zu beißen träumte, oder man könnte davon in Ohnmacht fallen oder aber sich übergeben, man wusste nicht, wie man reagieren sollte. Auf der Straße schwebten die Düfte von würzigen Kräutern, Düfte von süßem Fleisch, von sauer gewordenen Früchten, der Moschusgeruch von Fischen, der eine Begierde hervorrief, die dem Hunger ähnelte; der Geruch von Saigon erweckte ein instinktives Verlangen, vermischt mit ein wenig instinktiver Abscheu – und dem Wunsch die Sache kennenzulernen. Es waren vermutlich Küchengerüche, denn die ganze Straße war von einfachen, von Dampf umgebenen Esslokalen gesäumt, in denen Annamiten an fleckigen, angeschlagenen, von zu häufigem Gebrauch und zu wenig Pflege abgenutzten Tischen saßen und aßen; die Dünste, die sie umgaben, ließen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen und Hunger in ihm aufkommen, dabei hatte er das, was er hier roch, noch nie zuvor gerochen; das also war ihre Küche. Sie aßen schnell, aus Schalen, schlürften laut Suppen, fischten mit Stäbchen, die sie wie Pinsel handhabten, Fasern und Stücke heraus; sie führten alles rasch zum Mund, sie tranken, schlürften, schoben das Ganze mit einem Porzellanlöffel, sie aßen so, als wollten sie sich den Bauch vollschlagen, mit gesenktem Blick, konzentrierten Handbewegungen, wortlos, ohne Pause, ohne ein Wort mit ihren beiden Nachbarn zu wechseln, mit denen sie Schulter an Schulter am Tisch saßen; aber Salagnon wusste genau, dass sie seine Anwesenheit bemerkt hatten und ihm trotz ihrer ständig gesenkten Stirn mit den Blicken folgten; aus den Augen, die geschlossen zu sein schienen, verfolgten sie jede einzelne seiner Bewegungen durch den duftenden Dampf hindurch, sie alle wussten genau, wo er war, der einzige Europäer in dieser Straße, in der er sich ein bisschen verirrt hatte, als er nach dem Verlassen des Stützpunkts der Seestreitkräfte, in dem man ihm vier Männer und das Kommando über eine Dschunke aus Holz anvertraut hatte, mehrmals auf gut Glück in eine Seitenstraße eingebogen war.
Er wusste nicht, wie er sich an diese an Tischen sitzenden Annamiten richten sollte, konnte ihren Gesichtsausdruck nicht einschätzen, sie saßen dicht gedrängt, senkten den Blick auf ihre Schale und waren ausschließlich damit beschäftigt zu essen, ihr Bewusstsein beschränkte sich auf den
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