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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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wenn wir nicht marschieren, tut schreien immer gut.«
    Sie gingen zu Fuß, es war ein weiter Weg. »Wenn man Rikscha nimmt, explodiert der Motor«, schrie der Legionär auf der überfüllten Straße, an der es von kleinen Lichtern wimmelte: auf den Bürgersteigen stehende Lampen, Laternen oder Kerzen, in deren Schein Vietnamesen auf dem Boden hockten und in ihrer unbekannten, unbeständigen Sprache schwätzten, die dem Klang von Radios ähnelt, wenn man an dem Regler dreht und eine im Äther verlorene Station sucht.
    Der Legionär wankte nicht einmal beim Gehen, er war so klobig, dass sein betrunkenes Schwanken innerhalb seines Körpers blieb. Salagnon lehnte sich an ihn wie an eine Wand, an der entlang er sich tastend voranbewegte, wenn auch in ständiger Furcht, zermalmt zu werden, falls der Mann auf ihn stürzen sollte.
    Sie betraten einen hell erleuchteten, lärmenden großen Raum, in dem niemand sich um sie kümmerte. Die Leute saßen dicht gedrängt an großen Tischen, an denen hochmütige junge Frauen Karten und Jetons verwalteten, wobei sie möglichst wenig sagten. Sobald die Einsätze gemacht waren, ging ein Blitzstrahl durch die Spieler, alle über den Tisch gebeugten Chinesen kniffen die Augen zu einem Schlitz zusammen und verstummten, ihr schwarzes Haar wurde noch schwärzer, und die Spitzen, von blauen Funken gekrönt, richteten sich auf; und wenn die Karte umgedreht wurde oder die Kugel liegenblieb, ging ein Zittern durch die Anwesenden wie ein Schrei, ein zu laut ausgestoßener wütender und zugleich stummer Seufzer, und dann brachen die Worte wieder hervor, stets schrill und schreiend, Männer zogen dicke Bündel Banknoten aus der Tasche und wedelten damit, als wollten sie das Schicksal herausfordern oder Einspruch erheben, und die unerschütterlichen jungen Frauen sammelten die Jetons mit einem langstieligen Rechen ein, den sie wie einen Fächer handhabten. Ein neues Spiel begann.
    Der Legionär spielte mit dem Geld, das Salagnon noch übrig hatte und verlor; das brachte sie beide zum Lachen. Sie wollten den Raum wechseln, denn hinter einer rot lackierten doppelten Tür wurde anscheinend mit höheren Einsätzen gespielt, reichere Männer und schönere Frauen gingen hinein oder kamen heraus, und das zog sie an. Doch zwei schwarz gekleidete Typen versperrten ihnen den Weg, indem sie lediglich die Hand hoben, zwei magere Typen, an deren Körper jeder einzelne Muskel deutlich zu erkennen war, beide hatten eine Pistole hinter dem Gürtel stecken. Salagnon ließ nicht locker, ging einen Schritt vor und wurde energisch zurückgestoßen. Er fiel auf den Hintern. »Wer hat hier das Sagen?«, schrie er wütend mit vom Schum schwerer Zunge. Die beiden Hüter blieben mit verschränkten Armen vor der Tür stehen, ohne ihn anzusehen. »Wer hat hier das Sagen?« Keiner der Spieler wendete den Kopf, sie beugten sich alle mit schrillen Schreien über die Tische; der Legionär hob ihn auf und führte ihn nach draußen.
    »Wer hat denn hier das Sagen? Wir sind hier doch in Frankreich, oder? Hm? Wer hat das Sagen?«
    Das brachte den Legionär zum Lachen.
    »Träumen Sie nicht! Wir haben hier nichts zu sagen. Gar nichts. Die tun was sie wollen. Die Viets haben das Sagen, die Chinesen haben das Sagen; aber Franzosen tun, was man ihnen sagt.«
    Er verstaute Salagnon in einer Rikscha und gab dem Annamiten mit drohenden Worten die Anweisung, Salagnon in sein Hotel zurückzufahren.
    Am nächsten Morgen erwachte er mit Kopfschmerzen, einem schmutzigen Hemd und leerer Brieftasche. Später sagte man ihm, er sei noch glimpflich davon abgekommen, solche Abende endeten im Allgemeinen viel schlimmer: Man hätte ihn nackt und mit durchgeschnittener Gurgel, wenn nicht gar kastriert in einem Flussarm treibend wiederfinden können. Er erfuhr nie, ob es stimmte oder ob das nur leeres Gerede war; aber in Indochina erfuhr nie jemand die Wahrheit. Wie in der chinesischen Lackkunst, in der Schicht für Schicht aufgetragen wird, um einem Objekt eine Form zu geben, ist die Wirklichkeit die Summe aller unechten Schichten, die durch ihre Anhäufung der Wahrheit durchaus nahe kommen.
    Man gab ihm vier Männer und eine Dschunke, mit den vier Männern waren französische Soldaten gemeint. Hinzu kamen aber noch die annamitischen Seeleute, deren Anzahl er nur mit Mühe einschätzen konnte: fünf, sechs oder sieben, sie waren alle gleich gekleidet und blieben lange reglos sitzen, verschwanden ohne sich abzumelden und tauchten anschließend vereinzelt

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