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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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erleben, das ich nicht erlebt habe und das ich nicht einmal kenne? Wie kann ich es moralisch vertreten, »wir« zu sagen, obwohl ich genau weiß, dass Gräueltaten in dessen Namen verübt worden sind? Und dennoch haben »wir« gehandelt, haben »wir« gewusst, und ich konnte es nicht anders erzählen.
    Wenn ich aus meinem weinseligen Mittagsschlaf erwachte, las ich Bücher oder sah mir Filme an. In dem Dachzimmer, das ich bewohnte, hatte ich bis abends nichts zu tun. Ich wollte alles über dieses verschwundene Land erfahren, von dem nur noch der Name übrig geblieben ist, ein einziges Wort mit einem Großbuchstaben, in dem etwas Sanftes und Kränkliches mitschwingt, aufbewahrt in den Tiefen der Sprache. Ich erfuhr, was man über diesen Krieg erfahren konnte, einen Krieg ohne viel Bilder, denn es wurden nur wenige gemacht und viele zerstört, und die Bilder, die erhalten geblieben sind, sind unverständlich, weil sie von den zahlreichen, leicht zu interpretierenden Bildern des amerikanischen Kriegs überdeckt worden sind.
    Wie soll man die Männer nennen, die mit einem altmodischen Rucksack aus graubraunem Leinen im Gänsemarsch durch den Wald marschieren, dem gleichen Rucksack, wie ich ihn als Kind trug, weil mein Vater mir jenen vermachte, den er selbst als Kind getragen hatte? Soll man sie Franzosen nennen? Aber wer wäre ich dann? Soll ich sie »wir« nennen? Und würde es reichen, Franzose zu sein, um von dem betroffen zu sein, was andere Franzosen taten? Die Frage mag müßig wirken, tatsächlich ist es aber eine grammatikalische Frage, sie zielt darauf ab, herauszufinden, mit welchem Personalpronomen man die Männer bezeichnet, die mit den gleichen Rucksäcken durch den Wald marschierten, wie jener, dessen Metallgestell ich als Kind im Rücken gespürt habe. Ich will wissen, mit wem ich lebe. Ich spreche die gleiche Sprache wie jene Männer, wie das bei den Menschen der Fall ist, die man liebt. Mit ihnen bin ich an dieselben Orte, über dieselben Straßen gegangen, wir haben dieselbe Schule besucht, dieselben Geschichten gehört, wir haben gemeinsam gewisse Gerichte gegessen, die andere nicht essen, es hat uns geschmeckt. Wir haben gemeinsam dieselbe Sprache gesprochen, die einzige, die etwas taugt, weil man sie versteht, ohne nachdenken zu müssen. Wir sind die Organe desselben großen, durch die Liebkosung der Sprache vereinten Körpers. Wer weiß, bis wohin sich dieser große Körper erstreckt? Wer weiß, was die linke Hand tut, während die rechte mit Liebkosungen beschäftigt ist? Was tut der Rest, wenn das Bewusstsein mit den Liebkosungen der Sprache beschäftigt ist?, fragte ich mich, während ich die Spalte der Frau streichelte, die neben mir lag. Ich habe ihren Namen vergessen; es ist seltsam, so wenig über die Person zu wissen, mit der man schläft. Es ist seltsam, aber meistens schließen wir die Augen, wenn wir aneinandergeschmiegt im Bett liegen, und wenn wir sie zufällig öffnen, sind wir einander viel zu nah, um das Gesicht wiederzuerkennen. Man weiß nicht, wer das »wir« ist, man kann das Grammatikproblem nicht lösen, und wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Über die Männer, die durch den Wald marschieren, spricht man daher ebenso wenig wie über die Frau, die neben einem im Bett liegt, und deren Namen man vergessen wird.
    Man weiß so wenig über den Menschen, mit dem man zusammenlebt. Es ist erschreckend. Es ist wichtig, den Versuch zu machen, etwas herauszufinden.
    Ich sah den Mann, der seine Zeitung auf dem Tisch ausbreitete, mehrmals wieder. Ich kannte seinen Namen nicht, aber das war in diesem abgelegenen Bistro unwichtig. Jeder Stammgast hatte etwas von einem ständig wiederholten Refrain, er existierte nur dank der Einzelheiten, die man sich über ihn erzählte; diese immer wieder zum Besten gegebene gleiche Einzelheit erlaubte dem Betreffenden, wiedererkannt zu werden, den anderen zu lachen, und allen, ein Glas Wein zu trinken. Alkohol ist das beste Schmiermittel für diese Drehorgel. Er explodiert, und der Tank ist bald leer. Schneller Start; keine Autonomie; man füllt nach. Er war der Veteran aus dem Indochinakrieg, der seine Zeitung immer dann ausbreitete, wenn der Andrang im Lokal besonders groß war, und den niemand störte; ich war der auf die schiefe Ebene geratene junge Mann, der das Lokal nie ohne seinen Rentner-Shopper betrat und ihn sich jeden Tag um dreizehn Uhr vollsacken ließ: Es wurden unermüdlich zweideutige Witze darüber gerissen.
    Das

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