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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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hätte lange so weitergehen können. Bis zur Erschöpfung. Bis ins hohe Alter und bis zum Tod des Kriegsveteranen, denn er war viel älter als ich, oder bis zu einem weiteren Grad meines Verfalls, wenn ich etwa nicht mehr genug Geld, genug Kraft oder die nötige Sprachgewandtheit haben würde, um meinen Platz einzunehmen, oder wenn ich nicht mehr die Kraft haben würde, mich mit den anderen auf diesem Abstellgleis zu treffen, wo wir auf das Ende warteten. Das hätte lange so weitergehen können, denn ein solches Leben richtet alles so ein, dass sich nichts ändert. Alkohol konserviert den Lebenden in der letzten Pose, die er einnimmt, das kennt man aus den Museen, in denen die Körper von ehemals Lebenden in Gläsern aufbewahrt werden.
    Aber ein Sonntag hat uns gerettet.
    Manche Menschen langweilen sich am Sonntag und fliehen ihn, aber dieser leere Tag ist die Voraussetzung dafür, dass sich etwas tut; er ist die Bedingung für das Eintreten einer Änderung. Am Sonntag erfuhr ich seinen Namen; und mein Leben erfuhr eine Wende.
    An dem Sonntag, an dem ich seinen Namen erfuhr, machte ich einen Spaziergang am Ufer der Saône und besuchte den »Künstlermarkt«. Diese Bezeichnung bringt mich zum Lachen, sie fasst gut zusammen, worum es sich handelt: einen Flohmarkt diverser Kunstpraktiken.
    Was ich dort tat? Ich habe bessere Tage gekannt, das werde ich eines Tages genauer erklären, ich habe eine gute Ausbildung erhalten, ich hatte einmal guten Geschmack, ich war Kunstliebhaber gewesen und kannte mich ein bisschen auf diesem Gebiet aus. Ich behalte davon ein Gefühl großer Ernüchterung, aber keinerlei Verbitterung, und ich begreife zutiefst Marcel Duchamps Aphorismus: »Sogar der Furz eines Künstlers ist Kunst.« Das kommt mir endgültig vor; das hört sich wie ein Scherz an, beschreibt aber vorzüglich das, was Künstler und jene, die sie aufsuchen, beseelt.
    Auf dem Künstlermarkt findet man keine besonders teuren, aber auch keine besonders schönen Werke. Man flaniert unter den Platanen, betrachtet in Ruhe die Werke jener, die sie ausstellen, und diese mustern hinter ihren Tischen die an ihnen vorbeischlendernde Meute der Schaulustigen umso verächtlicher, je mehr Zeit vergeht, in der ihnen niemand etwas abkauft.
    Ich ziehe diesen Markt der geschlossenen Welt der Galerien vor, denn was hier ausgestellt wird, ist eindeutig Kunst: Ölgemälde auf Leinen, die bekannte Stile reproduzieren. Man erkennt das wieder, was man schon weiß, kann das Motiv ausklammern, und hinter den unzweifelhaften Gemälden lauert der fiebrige Blick der Künstler. Diejenigen, die ihre Werke ausstellen, zeigen sich selbst; sie kommen her, um ihre Seele zu retten, denn sie sind Künstler, keine Schaulustigen; die Schaulustigen dagegen retten ihre Seele, indem sie die Künstler aufsuchen. Derjenige, der malt, rettet seine Seele, vorausgesetzt jemand kauft eines seiner Werke, und seine Gemälde zu kaufen, verschafft dem Käufer ein wenig Ablass, ein paar, der täglichen Verdammnis abgerungene Stunden im Paradies.
    Ich vergnügte mich damit, immer wieder festzustellen, dass Künstler ihren Werken ähneln. Wegen einer dümmlichen Auslegung von Sainte-Beuves Thesen glauben viele das Gegenteil: Der Künstler drücke sich aus und verleihe seinem Werk Form, und dieses Werk spiegele seine Persönlichkeit wider. Was ist denn das für ein Unsinn! Ein Spaziergang unter den Platanen des Künstlermarkts bringt alles ans Licht! Der Künstler drückt sich nicht aus – denn was sollte er schon sagen? Er entfaltet sich. Und dann stellt er sich selbst aus. Hinter seinem Stand stellt er sich den Blicken der Schaulustigen dar, die er beneidet und verachtet – Gefühlsregungen, die diese auch für ihn empfinden, aber auf andere, umgekehrte Weise, und so kommt jeder auf seine Kosten. Der Künstler produziert sein Werk, und dafür verleiht ihm das Werk Leben.
    Sehen Sie sich doch nur diesen großen, hageren Kerl an, der mit großen Strichen erschreckende Acryl-Porträts gemalt hat: jedes dieser Porträts stellt ihn aus einem anderen Blickwinkel dar. Fügen Sie sie zusammen, dann zeigen sie ihn, so wie er sein möchte. Und was er sein möchte, existiert.
    Sehen Sie sich den Mann an, der mit großer Sorgfalt viel zu grelle, viel zu kontrastreiche Aquarelle malt, in schreienden Farben und mit deutlich artikulierten Massen. Er ist fast taub und hört sehr schlecht, was die neugierigen Betrachter sagen, er malt die Welt so, wie er sie hört.
    Sehen Sie sich diese

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