Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
Vom Netzwerk:
tauchten ab und zu dahinter auf. Am Ufer festgebundene Boote schwankten von den Wellen, die die Kähne machten, in den Booten hockten Frauen und wuschen Wäsche, zerlumpte Männer angelten und nackte Kinder schauten zu, wie die LCT s vorüberfuhren und sprangen anschließend lachend ins Wasser. Alles, vom Boden bis zum Himmel, war in gelbliches, ein wenig grünes Licht getaucht, die Farbe einer abgetragenen Infanterie-Uniform der Kolonialarmee mit mürbem Stoff, der zerriss, sobald man heftig daran zog. Das feuchte Tuckern der Dieselmotoren war ein ständiger Begleiter.
    »Das Problem dieser Flüsse sind die Ufer. In Europa sind sie immer ruhig, ein bisschen langweilig, aber friedlich. Hier dagegen herrscht eine solche Stille, dass man immer damit rechnet, beschossen zu werden. Man sieht nichts, aber man wird belauert. Und fragen Sie mich nicht, von wem, ich habe keine Ahnung, niemand weiß das, niemand weiß in diesem dreckigen Land etwas. Ich ertrage ihre Stille nicht; ihren Lärm ertrage ich übrigens auch nicht. Sobald sie etwas sagen, schreien sie, und wenn sie verstummen, flößt ihr Schweigen Angst ein. Haben Sie das auch schon bemerkt? In ihren Städten herrscht ein solcher Radau, aber auf dem Land wird die Stille zu einem Albtraum. Manchmal klopft man sich gegen die Ohren, um sich zu vergewissern, ob sie noch funktionieren. Es geschehen hier Dinge, die man nicht hört. Ich kann deshalb kaum noch schlafen; ich glaube, ich sei taub geworden, fahre aus dem Schlaf hoch, und dann beruhigt mich das Geräusch des Motors, aber ich habe Angst, dass er stehen bleibt; ich überprüfe die Ufer, noch immer nichts. Und trotzdem weiß ich, dass sie da sind. Unmöglich, Schlaf zu finden. Die Ufer müssten wirklich weit entfernt sein, damit ich in Ruhe schlafen könnte. Oder vielleicht auf offenem Meer. Da würde ich endlich schlafen können. Endlich. Denn ich habe schon die Lust auf Schlaf für mehrere Jahre angesammelt. Ich weiß nicht, wie ich das aufholen soll. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel ich schlafen könnte, wenn ich auf offenem Meer wäre.«
    Ein dumpfer Stoß ließ sie aufhorchen; sie sahen, wie ein menschlicher Körper, der mit dem Gesicht nach unten und ausgestreckten Armen und Beinen im Wasser trieb, langsam gegen den Schiffsrumpf prallte; dann glitt er an der gesamten Flanke des Lastkahns entlang, drehte sich im Kreis und verschwand flussabwärts. Ein anderer folgte, dann noch einer, und schließlich immer mehr. Ausgestreckte Leichen trieben den Fluss hinab, sie schwammen auf dem Bauch mit ins Wasser getauchtem Gesicht, was bei den beiden Männern Erstickungsängste auslöste, oder auf dem Rücken, mit aufgedunsenem, dem Himmel zugewandten Gesicht, die Augen zu Schlitzen reduziert. Sie drehten sich langsam um die eigene Achse und trieben den Fluss hinab. »Was ist das denn?« »Irgendwelche Leute.« Eine der Leichen verklemmte sich vor dem abgeflachten Bug des LCT , tauchte halb aus dem Wasser auf, krümmte sich und blieb dort hängen, sie begleitete sie auf ihrer Fahrt. Eine andere glitt hinter den Lastkahn und wurde von der Schiffsschraube erfasst, das Wasser färbte sich bräunlich, eine Mischung aus rotem Blut und Schlamm, und dann setzte eine halbe Leiche ihren Weg fort, schlug gegen den nächsten LCT und versank. »Herrgott noch mal! Schiebt sie weg!« Mehrere Matrosen nahmen Bootshaken, beugten sich über den Bug und schoben die Leichen vom Schiffsrumpf weg, sie spießten sie auf, drückten sie zur Seite, in die Strömung, um zu vermeiden, dass das Schiff sie berührte.
    »Schiebt sie weg, Herrgott noch mal, schiebt sie weg!«
    Dutzende von Leichen trieben den Fluss hinab, ein anscheinend unerschöpflicher Leichenvorrat, die Frauen waren von ihrem langem schwarzen Haar umgeben, die Kinder ausnahmsweise einmal still, die Männer glichen sich alle in ihrer schwarzen Tracht, die dem ganzen Land als Uniform diente. »Schiebt sie weg, Herrgott noch mal!« Der Kapitän wiederholte schreiend denselben Befehl mit immer schrillerer Stimme, »Schiebt sie weg, Herrgott noch mal!«, wobei seine geballten Fäuste ganz weiß wurden. Salagnon wischte sich die Lippen ab, er hatte sich wohl ganz schnell übergeben, ohne es zu merken, es blieb noch ein bitterer Schaum in seinem Mund, ein paar Tropfen, die aus seinem geleerten Magen hochgekommen waren. »Wer sind diese Leute?« »Dorfbewohner. Leute, die von plündernden Banditen umgebracht worden sind, von diesen Dreckskerlen, die in den Wäldern ihr Unwesen

Weitere Kostenlose Bücher