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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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keine Eltern mehr vor mir, denen ich die Streiche ihrer Gören vorhalten kann, damit sie diese abends bestrafen. Hier mache ich alles selbst. Wie könnte ich danach wieder kleine Jungen erziehen? Was sollte ich tun, um die Ordnung aufrechtzuerhalten? Sollte ich etwa einen beim ersten Aufmucken aus einem alten Reflex heraus umbringen, um ein Exempel zu statuieren? Soll ich ein Verhör mit Foltermethoden führen, um herauszufinden, wer eine mit Tinte vollgesogene Papierkugel geworfen hat? Es ist wohl besser, ich bleibe hier. Hier hat der Tod keine große Bedeutung. Die Leute scheinen nicht darunter zu leiden. Unter Toten und zukünftigen Toten versteht man sich. Ich könnte nicht wieder vor einer Klasse von kleinen Jungen stehen, da wäre ich fehl am Platz. Ich weiß nicht mehr, wie man das macht. Oder besser gesagt, ich weiß das nur zu gut, aber kann das nur noch im großen Rahmen tun. Ich sitze hier fest; ich bleibe hier in der Hoffnung, nie heimzukehren, im Interesse der kleinen Jungen in Frankreich.«
    Der Horizont erhob sich wie ein Bastelbogen aus Papier, dreieckige Hügel richteten sich auf, als habe man den flachen Boden gefaltet; der Fluss wand sich in Schleifen. Sie drangen in die endlosen Wälder vor. Die Strömung wurde stärker, die Schiffsschrauben der LCT s wirbelten das Wasser mit größerer Kraft auf, und die Angst, dass man stehen bleiben könnte, nahm zu; ein dicker grüner Samtteppich säumte die Ufer, die Hügel wurden immer höher, immer zerklüfteter, verschmolzen mit den Wolken, die ziemlich tief hingen.
    »Der Wald ist auch nicht besser«, brummte der Kapitän, als er aus seiner Kabine kam. »Man glaubt, er sei leer, man glaubt er sei sicher, man glaubt, man habe nun endlich seine Ruhe … Schön wär’s! Es wimmelt nur so darin. Einen Feuerstoß da hinein und du tötest fünfzehn Typen. He, du da! Behark das Ufer!«
    Der MG -Schütze am Heck drehte die Waffe, bis sie aufs Ufer zeigte, und feuerte eine lange Salve in die Bäume. Die Soldaten zuckten zusammen und klatschten. Die großkalibrigen Kugeln trafen die Äste, das Geschrei von Affen ertönte, Vögel flogen davon. Zerfetzte Blätter und zersplittertes Holz fielen ins Wasser.
    »So«, sagte der Kapitän. »Heute waren da zwar nicht viele, aber die Stelle ist gesäubert. Ich hoffe, wir sind bald da, damit das endlich aufhört.«
    Er setzte die Soldaten in einem zerstörten Dorf an einem völlig aufgewühlten Ufer ab. Die Munitionskisten wurden von Gefangenen getragen, auf deren Rücken in großen Buchstaben PIM stand und die nur sehr lasch von Legionären bewacht wurden. Sandsäcke, die so sorgfältig aufgeschichtet waren, als wären es Ziegelsteine, versperrten die verschanzten Straßen, umgaben die wenigen noch verbleibenden Häuser und die Artilleriegeschütze mit langem, aufgerichtetem Rohr, die alle auf die dunkelgrünen, von Nebelfetzen eingehüllten Hügel gerichtet waren. Die Dorfbewohner waren verschwunden, es blieben nur zerstörte Überreste aus dem täglichen Leben, Körbe, eine Sandale, zerbrochene Krüge. Behelmte Legionäre wachten hinter der Brustwehr aus Säcken, während andere mit Schaufeln Gräben aushoben, um das Dorf noch weiter zu befestigen. Sie arbeiteten alle stumm und mit dem untadligen Ernst der Legion. Salagnon und seine Offiziere machten die Befehlsstelle in einer Kirche mit zerschossenem Dach ausfindig. Im Kirchenschiff waren der Schutt und die zertrümmerten Bänke zur Seite geschoben worden, und am freigeräumten Altar hatten die Offiziere Platz genommen; der Altar war wie zum Abendmahl festlich gedeckt mit weißem Tischtuch und mit Porzellantellern, die mit einem blauen Streifen verziert waren, brennende Kerzen ringsumher warfen zitterndes Licht, das sich auf den sauberen Gläsern und den Bestecken widerspiegelte. Die Offiziere in staubiger Uniform hatten ihr makellos weißes Käppi neben sich gelegt und wurden von einem Ordonnanzoffizier im Cutaway bedient, dessen vollendete Bewegungen seine große Kompetenz zum Ausdruck brachten.
    »Lastwagen? Um Ihre Männer hinaufzubringen? Soll das ein Scherz sein?«, fragte der Oberst mit vollem Mund.
    Salagnon ließ nicht locker.
    »Aber ich habe keine Lastwagen. Meine Lastwagen gehen auf den Minen in die Luft. Warten Sie den Konvoi ab, der auf dem Landweg kommt, er wird schon irgendwann hier eintreffen.«
    »Ich muss mich zu meinem Posten begeben.«
    »Dann gehen Sie doch zu Fuß hin. Er liegt in dieser Richtung«, sagte er und zeigte mit der Gabel auf ein

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