Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
die Stadt ging, sah ich die Plakate der SIFF zu Dutzenden auf allen Wandflächen. In schnell entstandenen Trabantenstädten gibt es viele fensterlose Wände, große graue Tafeln, die nur darauf warten, beschrieben zu werden; sie werden mit Graffiti besprüht und Plakaten beklebt, die der Regen nach und nach ablöst. Die Plakate der SIFF waren blau und zeigten das Gesicht von de Gaulle, das an der Nase, dem Käppi, dem kleinen Schnurrbart aus seiner Londoner Zeit und dem hochmütig starren Nacken so gut zu erkennen ist. Ein Zitat in weißer Schrift war darunter zu lesen.
Es ist sehr gut, dass es gelbe Franzosen, schwarze Franzosen und braune Franzosen gibt. Sie beweisen, dass Frankreich allen Rassen offensteht und eine universale Bestimmung hat. Aber nur unter der Bedingung, dass sie eine kleine Minorität bleiben. Sonst wäre Frankreich nicht mehr Frankreich. Wir sind aber in erster Linie ein europäisches Volk weißer Rasse, mit einer Kultur griechischen und lateinischen Ursprungs und christlicher Religion.
Das war alles, und darunter nur das Logo der SIFF . Diese Worte werden dort angeschlagen, und alles deutet darauf hin, dass der Schöpfer des Nationalepos sie geschrieben hat. Man fügt nichts hinzu, schlägt das Plakat überall auf den fensterlosen Wänden von Voracieux an. Das scheint zu reichen; jeder begreift, was gemeint ist. Voracieux ist der Ort, an dem unsere finsteren Vorstellungen keimen. Man schlägt ein Plakat an und bringt dessen Text mit einem Gesicht in Verbindung, wie es in seiner heroischen Periode ausgesehen hat, das reicht. Es gibt keinen konkreten Verweis. Ich kenne diesen Text: Der Schöpfer des Nationalepos hat ihn nie geschrieben, sondern nur ausgesprochen, er ist in einer Sammlung von Aussprüchen veröffentlicht worden. Er beginnt folgendermaßen: »Mit leeren Worten erreicht man nichts.« Doch, doch, damit erreicht man etwas, und das weiß er ganz genau. Man kann ihn sich vorstellen, wie er sich einem mitschreibenden Gesprächspartner gegenüber allmählich warm redet, in Fahrt gerät: »Machen wir uns doch nichts vor! Waren Sie schon mal bei den Muslimen? Haben Sie sie gesehen, mit ihrem Turban und ihrer Dschellaba? Dann haben Sie doch festgestellt, dass es keine Franzosen sind. Die Befürworter der Integration haben das Gehirn eines Kolibris, auch wenn sie sehr gebildet sind. Versuchen Sie doch mal Öl und Essig in einer Flasche zu vermischen. Schütteln Sie die Flasche. Nach einer Weile trennen sie sich wieder. Die Araber bleiben Araber, und die Franzosen bleiben Franzosen. Glauben Sie, die französische Nation könne zehn Millionen Muslime aufnehmen, die morgen zwanzig und übermorgen vierzig Millionen sein werden? Wenn wir eine Integrationspolitik betreiben, wenn alle algerischen Araber und Berber als Franzosen angesehen werden, wie wollen Sie diese dann daran hindern, sich im Mutterland anzusiedeln, wo der Lebensstandard viel höher ist? Dann würde mein Dorf nicht mehr Colombey-les-Deux-Églises heißen, sondern Colombey-les-Deux-Mosquées.«
Man hört seine Stimme geradezu, während er diese Worte sagt. Man hört sie, weil man seine näselnde Stimme noch im Ohr hat, seine Ironie, seine schwungvolle Begeisterung, die alle Register der Sprache zieht, um Eindruck zu schinden, zu überreden, ein Lächeln hervorzurufen, die Perspektiven durcheinanderzubringen und den Sieg davonzutragen. Er ist ein Meister der Rhetorik. Man hört ihm gern zu. Aber wenn man sich die Mühe gemacht hat, sich seine Worte zu notieren, ist man, sobald das Lächeln verschwunden ist, verblüfft über so viel Ungereimtheit, Unaufrichtigkeit und verächtliche Verblendung; und natürlich epische Virtuosität. Was eine klare, auf dem gesunden Menschenverstand basierende Vorstellung zu sein scheint, ist in Wirklichkeit nur eine Kneipenparole, die in den Raum geworfen wird, um die Zustimmung der Zuhörer zu erzwingen, um Unklarheit zu stiften und recht zu behalten. Wenn der große Epenschreiber das Wort ergreift, ist er nur ein von äußerst banalen Motivationen erfüllter Mann. Man ist eben nicht unter allen Umständen und nicht jeden Tag ein großer Mann.
Aber lesen Sie nur! Dschellabas, Turbane! Worauf zielt das ab? Sehen Sie doch, wer in Algier und Oran wohnt, ist der Unterschied so groß? Kolibri? Ein Geniestreich! Man erwartete das Wort Spatz, doch er greift auf den melodischen Exotismus zurück, darüber lächelt man, doch sobald man lächelt, hat man bereits verloren. Öl und Essig? Aber wer ist das Öl
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