Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Federwippen und schrien dabei die ganze Zeit, doch keines der Kinder tat sich weh. Ihre Vitalität schützt sie vor allem. Wenn sie hinfallen, ist der Aufprall nicht sehr stark, sodass sie sofort wieder aufstehen können; während ich mir bei einem Sturz alle Knochen brechen würde.
Es nervte mich, dass sie so unruhig waren und so viel Lärm machten. Ich hatte keine Ähnlichkeit mit ihnen. Die Kinder aus Voracieux-les-Bredins sind sehr zahlreich und rennen unablässig herum, sie sind schwarz oder braun unter der Wollmütze, über dem Schal, es sind mehrere Schwarz- oder Brauntöne, von denen keiner meiner Hautfarbe gleicht, die viel heller ist. Sie machen äußerst gefährliche Luftsprünge, doch ihnen passiert nichts, ihre Vitalität schützt sie, nach jedem Sturz nehmen sie wieder ihre ursprüngliche Form an. Sie sind der Zement, der überall vorhanden ist und der selbsttätig das mit vielen Rissen bedeckte Gemeinschaftshaus repariert. Es ist zwar nicht der richtige Farbton. Aber was soll’s? Dann wird das Haus eben neu gestrichen. Wir brauchen vor allem ein Dach, das nicht einstürzt, um uns zu beschützen und uns aufzunehmen. Die Farbe der Wände ändert nichts an der Festigkeit des Daches. Es muss nur halten.
Worin ähneln mir diese schwarzen oder braunen Kinder, die schreiend auf Federwippen herumtoben? Worin ähneln mir, der ich in einen Wintermantel gehüllt auf einer Bank sitze, diese Kinder, die meine Zukunft sind? Anscheinend in keinem Punkt, aber wir haben mit der Muttermilch dieselbe Sprache aufgesogen. Wir sind Brüder, was die Sprache angeht, denn was in dieser Sprache gesagt wird, haben wir gemeinsam gehört; was in dieser Sprache geflüstert wird, haben wir alle begriffen, schon bevor wir es gehört haben. Sogar bei Schmähungen verstehen wir uns. Die Wendung »wir verstehen uns« ist wunderbar. Sie beschreibt ein inniges Verschlungensein, bei dem jeder ein Teil des anderen ist, eine Figur, die sich nicht konkret darstellen lässt, die aber vom sprachlichen Standpunkt her eindeutig ist: Wir sind durch das innige Verständnis der Sprache untrennbar miteinander verbunden. Sogar eine heftige Auseinandersetzung kann dieses Band nicht zerstören. Versuchen Sie einmal, sich mit einem Nicht-Muttersprachler zu streiten: Das ist, als würden Sie gegen eine Wand rennen. Man kann sich nur mit den Seinen richtig schlagen oder gegenseitig umbringen; nur unter seinesgleichen.
Ich verstehe nichts von Kindern. Ich habe mehrere Monate mit einem Mann verbracht, der mir das Malen beibringt und mir dabei derartige Dinge erzählt hat, dass ich zu Fuß nach Hause laufen muss, um wieder nüchtern zu werden. Ich hätte mich waschen müssen, nachdem ich ihm zugehört habe, ich hätte es vorgezogen, nichts davon zu hören. Aber sich die Ohren zuzuhalten, lässt die Sache nicht verschwinden: was einmal da ist, übt seine Wirkung in der Stille aus, wie die Schwerkraft.
Ich bin selbst einmal ein Kind gewesen, auch wenn ich heute Mühe habe, mich daran zu erinnern. Auch ich habe geschrien, genau wie sie, aus reinem Übermut, auch ich bin ziellos herumgetobt und habe mich amüsiert, was mit seiner seltsamen reflexiven Form die wesentliche Beschäftigung der Kindheit ist. Aber so wie ich jetzt hier sitze, mit geballten Fäusten, gebeugten Schultern, und das Kinn hinter dem hochgeschlagenen Kragen meines Wintermantels versteckt, fällt es mir schwer, mich daran zu erinnern. Ich bin auf das Hier und Heute fixiert, hier auf dieser Bank in einer Vorstadt, in der ich mich nicht zurechtfinde. Mein Misserfolg, mein Unglück ist es, dass ich auf das Hier und Heute fixiert bin. Dass ich erschrocken bin, was geschehen ist, Angst davor habe, was uns erwartet, genervt bin von diesem turbulenten Treiben und trotzdem hierbleibe; und denke, dass das Hier alles ist.
Ein kleiner Junge, der über den Platz rennt – sie rennen stets, wenn sie sich fortbewegen –, bleibt vor mir stehen. Er betrachtet mich, seine kleine Nase ist halb vom Schal verdeckt, schwarze Locken quellen unter seiner Wollmütze hervor, und in seinen glänzenden schwarzen Augen liegt ein äußerst sanfter Ausdruck. Mit einer Hand, die in einem Fausthandschuh steckt, schiebt er seinen Schal nach unten, um seinen kleinen Mund freizulegen, aus dem eine weiße Dampfwolke hervorkommt, sein kindlicher Atem in der kalten Luft.
»Warum bist du traurig?«
»Ich denke an den Tod. An all die Toten, die wir hinter uns lassen.« Er blickt mich an und nickt mit offenem Mund, während
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