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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Dusche, und damit war die Sache erledigt?«
    »Wenigstens eine Dusche, um weiterleben zu können. Ich habe alles überlebt; das war nicht immer leicht. Hast du schon bemerkt, dass nur die Überlebenden vom Krieg erzählen? Wenn man ihnen zuhört, hat man den Eindruck, man könnte damit fertig werden, die Vorsehung beschützte einen und man sähe zu, wie der Tod die anderen ereilte. Man glaubt, dass Sterben nur ein selten eintretender Zufall sei. Da wo ich gewesen bin, starb man sehr leicht. Indochina war zu jener Zeit geradezu ein Museum für die unterschiedlichsten Todesarten: Man konnte an einer Kugel im Kopf sterben, an einem Feuerstoß, an einem von einer Mine abgerissenen Bein, einem Granatsplitter, der eine Wunde aufriss, an der man verblutete, man konnte von einem Volltreffer zerfetzt werden, von der Karosserie eines umgestürzten Fahrzeugs erdrückt werden, in einem Bunker von der Explosion einer Hohlladung verbrennen, in einer vergifteten Falle verenden oder ganz einfach – auch wenn das rätselhaft blieb – an Erschöpfung und Hitze sterben. Ich habe all das überlebt, aber das war nicht immer einfach. Im Grunde kann ich nicht viel dafür. Ich bin nur allem entkommen und bin noch da. Ich glaube, das Malen hat mir dabei geholfen. Die Tusche hat mich versteckt. Aber jetzt ist das Ende nah. Auch wenn ich nicht wirklich daran glaube, werde ich bald verschwinden. All das, was ich dir erzähle, habe ich noch niemandem erzählt. Diejenigen, die das Gleiche erlebt haben, brauchen das nicht zu hören, und diejenigen, die es nicht erlebt haben, wollen es nicht hören; und Euridice habe ich all das nur mit Pinselstrichen berichtet. Ich habe es für sie gemalt. Ich habe ihr gezeigt, wie schön das war, ohne etwas hinzuzufügen, und ich habe sie mit schwarzer Tusche umgeben, damit sie nichts ahnt.«
    »Und warum haben Sie mir das erzählt?«
    »Weil das Ende da ist. Und weil du die Dinge durch die Tusche sehen kannst.«
    Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Ich wagte ihn nicht zu fragen. Er stand vor dem Fenster und blickte nach draußen, wandte mir den Rücken zu, er konnte vermutlich nur ein paar von Hochhäusern umgebene Einfamilienhäuser aus Voracieux-les-Bredins im grauen Licht eines endlosen Winters sehen.
    »Der Tod«, sagte er.
    Und das sagte er mit jener typisch französischen Stimme, jener Stimme, wie man sie in einer Kirche oder einem Palast hört, einer Stimme, wie ich mir die von Bossuet vorstelle, vibrierend wie ein Fagottblatt im Inneren seiner Nase, was ihm, wenn er laut sprach, einen monotonen, aber furchtbaren Klang verlieh; den Klang eines Zustands, den man zwar benennen und beteuern kann, dem man aber machtlos ausgeliefert ist. Denn man muss weiterleben.
    »Der Tod! Jetzt soll er endlich kommen! Ich bin die Unsterblichkeit leid. Ich finde diese Einsamkeit allmählich belastend. Aber sag das Euridice nicht. Sie verlässt sich auf mich.«
    Ich ging zu Fuß nach Lyon zurück, auf einem Weg, der nicht für Fußgänger vorgesehen war. Ich steckte die Hände in die Manteltaschen, ballte die Fäuste, zog den Kopf mit zusammengebissenen Zähnen ein und setzte einen Fuß vor den anderen.
    Es war nicht vorgesehen, dass man in Voracieux-les-Bredins zu Fuß ging, niemand tat das. Die Bebauungspläne haben verschwommene Grenzen, über die man stolpert, und auf alles, was darüber hinausgeht, ist kein Gedanke verschwendet worden. Ich ging ziemlich verkrampft, es war wie ein Rhythmus, die kleine Trommel meines Herzens, die Trommel meiner Schritte, die große Trommel der dort errichteten Hochhäuser, die meinen Weg säumten. Ich überquerte Gelände und Fahrbahnen, die für Fahrzeuge geplant waren, musste über kleine, schräge Mauern klettern, Streifen aus Erde hinablaufen, in die die Schuhe einsanken und auf der dicke, behaarte Ruderalpflanzen meine Hose befeuchteten, ich musste kleine bröckelige Pfade voller Abfälle zwischen schlecht aneinandergefügten Raumelementen einschlagen. Die Stadtplaner hatten nur den Autoverkehr im Auge gehabt, mit dem Auto war alles einfach, aber im Maßstab der menschlichen Körper wurden die Räume mehr schlecht als recht vom Schweiß der Schritte zusammengehalten, die Leute gingen trotzdem zu Fuß, erfanden Pfade, die auf dem Plan nicht vorgesehen waren. Man hatte nie daran gedacht, dass jemand zu Fuß von einem Ort zum anderen laufen könne. In Voracieux-les-Bredins passt nichts zueinander, das war das Konzept.
    Während ich auf Maultierpfaden durch

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