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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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im Bau. Überall war es das Gleiche: Es wurde gebaut; abgerissen, neu aufgebaut; ausgeschachtet und abgedeckt; verändert. Die Magnaten des Hoch- und Tiefbaus waren die Herren der Welt, die allmächtigen Herren der Landschaft, der Siedlungen, des Denkens. Wenn man die Landschaft vor meiner Kindheit mit der verglich, in der ich aufgewachsen bin, erkannte man nichts wieder. Überall waren Hochhäuser aus dem Boden geschossen, um Wohnraum für die Menschen zu schaffen, die sich dort ansiedelten. Die Häuser wurden sehr schnell gebaut, sehr schnell beendet, und erhielten sehr schnell ein Dach. In diesen Wohnblocks wurden keine Dachböden gebaut, sondern nur Kellerräume. Es gab keine klaren Vorstellungen, keinen Speicher für Erinnerung, nur verscharrtes Entsetzen. Wir spielten im Netz der unteririschen Kellerräume, auf den Gängen aus unverputzten Zementsteinen, auf dem Boden aus gestampfter Erde, die kalt und elastisch war wie die Haut von Toten, wir spielten auf den Gängen, die nur von nackten, mit einem Gitter geschützten Glühbirnen beleuchtet wurden, deren grelles Licht nicht weit zu reichen schien und schnell verblasste, als fürchte es sich vor dem Dunkel und wage es nicht, die Winkel zu erhellen und ließe sie deshalb im Schatten. Wir spielten nicht besonders gewaltsame und nicht besonders sexuelle Kriegsspiele im Keller; wir waren noch Kinder. Wir schlichen durch das Dunkel und schossen mit Maschinenpistolen aus Plastik, die ein knatterndes Geräusch machten, und mit Pistolen aus weichem Polyäthylen, für die jeder auf seine Art mit geblähten Wangen ein möglichst naturgetreues Geräusch nachahmte. Ich erinnere mich, dass ich im Keller gefangen genommen worden bin und so getan habe, als habe man mich gefesselt, verhört, gefoltert und mich aufgefordert, endlich mit der Sprache herauszurücken, man, das heißt das Spiel, doch dann habe ich eine richtige Ohrfeige erhalten, die auf meiner Wange laut geklatscht hat.
    Daraufhin haben wir jäh das Spiel unterbrochen und sind errötet; wir waren alle sehr aufgeregt, fiebrig, mit heißer Stirn, und unser Atem ging sehr schnell. Die Sache ging allmählich zu weit. Meine sengende Wange zeigte, dass wir zu weit gegangen waren. Wir stotterten, das Spiel sei zu Ende, wir müssten jetzt nach Hause gehen. Wir sind alle an die frische Luft gegangen und nach Hause gelaufen; wir sind in unsere jeweilige Wohnung in einem der Stockwerke zurückgekehrt.
    Wir waren damals noch Kinder und wussten nicht, was wir sagen sollten, weder was die Gewalt noch die Liebe anging, wir taten all das, ohne etwas zu verstehen. Wir hatten noch nicht das Wort. Wir handelten.
    An einem Sommerabend bemühten wir uns eifrig, mit Kreide große, von Pfeilen durchbohrte Herzen auf den Asphaltboden zu malen. Sie waren rosafarben, ineinander verschlungen, mit Schnörkeln verziert, wir schrieben in die Mitte alle Vornamen, die uns einfielen, wir kritzelten sie mit solch fröhlicher Verbissenheit, dass die Kreide davon durchbrach, und wir hatten dabei den köstlichen Eindruck, unanständige, aber liebenswürdige Worte zu schreiben, und falls die Eltern des einen oder anderen gekommen wären, hätten wir glucksend und errötend Reißaus genommen, die Hände voller Kreidestaub, unfähig, unsere Freude und unsere Befangenheit zu erklären. Wir fertigten diese Zeichnungen an einem Sommerabend einen Meter, unter dem Balkon einer Wohnung im ersten Stockwerk an, in die ein junges Paar kurz zuvor eingezogen war. Die Schar von Kindern malte unten vor ihrem Balkon ineinander verschlungene Herzen auf den Boden, der Himmel, der anfangs noch rosafarben gewesen war, färbte sich ganz langsam violett, die Luft war lau und angenehm, die beiden sahen uns Arm in Arm zu, die junge Frau hatte den Kopf auf die Schulter ihres Mannes gelegt; sie lächelten wortlos, und das bläuliche Licht der Dämmerung wurde allmählich dunkler.
    Wenn wir etwas taten, taten wir es stets verbissen; wir teilten die Leidenschaft für Bauarbeiten mit den Erwachsenen und legten jeden Tag Miniaturbaustellen an. Wir wühlten den lockeren Boden auf, um flache Gelände für unsere Murmelspiele zu schaffen, Rennbahnen für die Radfahrer aus Zinn und Ringe, auf denen unsere kleinen Modellautos ungehindert fahren konnten. Wir begannen mit kleinen Planierraupen mit eisernem Schild, die zu unserem Spielzeug gehörten, doch sehr bald reichte das nicht mehr. Wir wühlten die Erde mit zerbrochenen Stöcken und Strandschaufeln auf, benutzten kleine Harken und

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