Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
kleine Plastikeimer, die wir ans Meer mitnahmen, überall dorthin, wo man im Sand graben konnte. Doch zu Hause gruben wir die Erde um, auf der unsere Häuser errichtet waren; und sehr bald wurde der Geruch immer stärker.
Die drei Wohnblocks der Siedlung waren auf einem etwas abschüssigen Gelände errichtet worden, das an drei Stellen mit Erde aufgeschüttet worden war, um die hohen Regale aufzustellen, in denen sich die Wohnungen aneinanderreihten. Der Parkplatz bildete eine schön glatte schräge Ebene, was uns das Rollschuhlaufen erleichterte, und die Straße, die von der Siedlung zur Stadt führte, hatte leichtes Gefälle und war auf einer Seite von einer Betonmauer mit glatter Oberfläche gesäumt, sie war am äußersten Ende wenigstens zwei Meter hoch – außer Reichweite für uns – und verschmolz auf der anderen, an der wir wohnten, mit der Horizontalen. Diese vollkommen regelmäßige Betonmauer spielte eine große Rolle in unseren Spielen. Sie war für uns eine herrliche Autobahn, die ideale Rennbahn für unsere kleinen Modellautos. Jeden Tag kamen zahlreiche kleine Jungen her, um dort ihre Autos und Lastwagen mit einem Brummen, das sie mit den Lippen hervorbrachten, hin und her fahren zu lassen. Am Ende, wo die Mauer mit dem Asphaltboden verschmolz, machten sie kehrt, und dann wieder da, wo die Mauer für sie zu hoch wurde, um die Autos auf ihr zu schieben. Die Größeren machten weiter hinten kehrt.
Die Mauer, die an der Flanke des Hangs entlangführte, stützte eine Böschung, die noch unbepflanzt war und die aus dem Mutterboden aller unserer Baustellen bestand. Dort konnte sich kein Gras halten, weil wir unablässig Straßen, Garagen und Landebahnen neben unserer Autobahn ausschachteten, auf der stets der rege Verkehr unserer Modellautos herrschte, außer zur Stunde der Mahlzeiten und zur Kaffeezeit. An einem Tag mit besonders regem Treiben, einem Sommerabend, an dem die Dunkelheit nur zögernd hereinbrach, gruben wir noch hartnäckiger als sonst und machten uns sehr zahlreich daran, mit Schaufeln, Eimern und Stöcken Löcher auszuheben. Der Geruch stachelte uns an. Je tiefer wir gruben, desto stärker wurde er. Eine Kinderschar machte sich auf der Erdböschung oberhalb der Mauer zu schaffen, auf der jetzt die kleinen Autos unbeweglich standen, denn niemand kam mehr auf die Idee, sie fahren zu lassen. Die Größeren, die vor nichts zurückschreckten, gruben und wühlten die mit Wurzeln vermischte Erde auf, schätzten den Abraum mit wichtigtuerischer Miene ab, manche spielten spontan die Rolle eines Vorarbeiters und sorgten dafür, dass der Reigen der Eimer reibungslos funktionierte. Die meisten von uns rührten nichts an, sondern kamen und gingen nur aufgeregt, rümpften die Nase, stießen Schreie des Ekels aus und wiederholten diese, wobei sie an allen Gliedern zitterten. Der Gestank kam aus dem Boden, als hätten wir eine Moderschicht angestochen, deren schwerer, klebriger Geruch sich immer intensiver ausbreitete, je tiefer wir gruben. Wir fanden Zähne. Ganz offensichtlich Menschenzähne, die genau denen glichen, die wir im Mund hatten. Und anschließend Knochenreste. Ein Erwachsener sah uns belustigt zu; ein anderer blickte aus seinem Küchenfenster. Der Gestank drang nicht bis zu ihnen vor; er blieb am Boden. Sie nahmen uns nicht ernst, glaubten, wir seien in ein Spiel vertieft, wohingegen wir längst nicht mehr den Eindruck hatten zu spielen. Der grässliche Geruch bewies uns, dass wir es mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Es stank so sehr, dass wir sicher waren, etwas Konkretes zu tun. Immer mehr Knochenreste und Zähne traten zutage. Ein großer Junge nahm ein paar davon, brachte sie nach Hause und kam zurück. »Mein Vater sagt, das sei ein Grab. Er hat mir gesagt, dass hier früher ein Friedhof gewesen sei. Und der sei bebaut worden. Er hat mir gesagt, das sei eine Schweinerei, wir sollten das Loch wieder zuschaufeln und es nicht mehr anrühren.«
Schließlich wurde es dunkel, die Gruppe löste sich langsam auf, der Gestank stieg uns bis zu den Knien, wir spürten ihn, wenn wir in die Hocke gingen. Wir waren nur noch ein paar unentschlossene Jungen. Der Gestank löste sich nicht in der Kühle des Abends auf. Mit dem Fuß schoben wir wieder Erde in das Loch. »Kommt und wascht euch die Hände, Kinder. Das ist abscheulich.« Der Erwachsene, der uns lächelnd beobachtet hatte, war bis zum Schluss dageblieben. Er hatte sich genähert, sich hingehockt und wortlos und noch immer lächelnd
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