Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
diesem Fall war es Josselin de Trambassac.
Sie sahen Teitgen gemeinsam mit einem Polizeikommissar in Zivil, einem Beamter jener Behörde, die ihrer Macht beraubt worden war, in das Untergeschoss hinabgehen. Die beiden hatten ein Bündel Formulare mit dem Namen jedes einzelnen Verdächtigen mitgebracht, die unterschrieben werden mussten. Sie hatten auch ein Fotoalbum dabei. Sie zeigten es allen, denen sie begegneten, sie zeigten es Trambassac: das Album enthielt furchtbare, in deutschen Konzentrationslagern aufgenommene Fotos von verstümmelten Leichen.
»Das haben wir persönlich erlebt, und nun erleben wir das hier erneut.«
»Ich habe das auch erlebt, Teitgen. Aber ich möchte Ihnen zeigen, was hier passiert.«
Er hielt ihm die erste Seite der Tageszeitung L’Écho d’Alger hin, auf der ein großes Foto, zum Glück in Schwarz-Weiß, der verwüsteten Bar Otomatic abgebildet war, mit den zerissenen Leichen, die in den Scherben des Schaufensters lagen.
»Wir suchen diejenigen, die das getan haben. Wir tun alles, um sie zu finden, damit das aufhört. Alles.«
»Man kann nicht alles tun.«
»Wir müssen gewinnen. Wenn wir nicht gewinnen, dann haben Sie recht, dann war das nur eine unnötige Metzelei. Aber wenn wir den Frieden wiederherstellen, ist das der Preis, den man dafür zu zahlen hat.«
»Aber schon dabei verlieren wir etwas.«
»Woran denken Sie? An das Gesetz? Finden Sie nicht, dass das Gesetz heutzutage ein bisschen lächerlich geworden ist? Es ist nicht für Kriegszeiten geeignet, es regelt nur den Alltagstrott. Aber Ihre Papiere unterzeichne ich gern, so viele Sie wollen.«
»Dass wir uns in einer illegalen Situation befinden, ist unwichtig, Trambassac, da sind wir uns einig. Aber die Sache geht doch viel weiter. Wir lassen uns auf Anonymität und Unverantwortlichkeit ein, und das führt zu Kriegsverbrechen. Auf meinen Papieren, wie Sie sie nennen, auf jedem meiner Papiere will ich den Namen eines Menschen haben und eine lesbare Unterschrift.«
»Lassen Sie mich meine Arbeit tun, Teitgen. Diejenigen unter meinen Männern, die diese Arbeit nicht verrichten wollen, brauchen es nicht zu tun. Aber diejenige, die ihre Last nicht auf andere abwälzen, die werden diese Last tragen.«
»Auch die, die es nicht tun, werden beschmutzt. Das wird uns alle besudeln. Bis hin nach Frankreich.«
»Jetzt lassen Sie mich aber allein, Teitgen, ich habe noch zu tun.«
Sie waren im Einsatz, in den Treppenhäusern, auf den Gängen, in den Schlafzimmern. Sie schlugen Türen ein, sprengten Schlösser, stellten Fallen auf Fluren, versperrten die Ausgänge, die Fenster, die Dächer, die Hinterhöfe. Sie arbeiteten Tag und Nacht. Die Keller der maurischen Villa wurden nicht leer. Dort unten sah man das Tageslicht nicht. Die Temperatur war immer die gleiche, warm und feucht im Licht einer nackten Glühbirne. Salagnon war todmüde. Er schlief ab und zu ein wenig. Wenn er nach oben ging, wunderte er sich über das Tageslicht im Empfangssaal, es wechselte ständig. Sie mussten sich beeilen, die Namen finden, die Orte, die Verdächtigen festnehmen, ehe sie sich aus dem Staube machten. Sie hatten Namen an die Wände geschrieben, mit Rot jene durchgestrichen, die sie festgenommen hatten, Passfotos der Anführer an die Wand geheftet, die sich noch versteckt hielten, sie sahen die Fotos jeden Tag, sie lebten mit ihnen, sie kannten ihre Gesichter, sie hätten diese Menschen erkannt, wenn sie ihnen auf der Straße begegnet wären. Sie hätten sie in der Menge wiedererkennen können, in der sie sich versteckten. Sie versteckten sich. Der Feind versteckte sich hinter Zwischendecken, doppelten Wänden, der Feind versteckte sich in den Wohnungen, versteckte sich in der Menge, versteckte sich hinter den Gesichtern. Man musste ihn aus seinem Versteck hervorlocken. Die Zwischenwände einschlagen. Die Körper Stück für Stück erforschen. Den Gesichtern die schützende Maske abreißen. Sie arbeiteten Tag und Nacht. Draußen explodierten Bomben. Leuten, die mit ihnen gesprochen hatten, wurde die Kehle durchgeschnitten. Sie mussten noch schneller arbeiten. Der ununterbrochene Reigen der Jeeps brachte einen ständigen Strom verängstigter Männer in die Kellerräume der maurischen Villa. Teitgen wollte, dass man sie zählte und ihren Namen aufzeichnete, sobald man sie herbrachte. Es wurde getan. Der kleine Mann mit seiner großen Brille, der ein wenig wie eine Kröte wirkte, ein bisschen Fett angesetzt und schütteres Haar hatte, ließ
Weitere Kostenlose Bücher