Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Offizier.«
»Dein Bruder ist verschwunden.«
»Ja, das weiß ich.«
»Du weißt sicher, wo er ist.«
»Das weiß ich nicht.«
»Es sind alles deine Brüder, nicht wahr?«
»Nein, nur er.«
»Und wo ist er?«
»Ich weiß es nicht.«
»Dein Bruder ist im Maquis.«
»Ich weiß nicht, wo er ist. Er ist eines Nachts verschwunden. Ich weiß nichts. Man hat ihn abgeholt.«
»Wie soll ich jemandem vertrauen, dessen Bruder im Maquis ist?«
»Ich bin nicht mein Bruder.«
»Aber du bist sein Bruder. Du gleichst ihm. Du hast etwas von ihm in dir, und er ist im Maquis. Wie soll ich dir daher vertrauen? Wir wollen, dass du uns sagst, wo er ist. Wer hat Kontakt zu ihm aufgenommen? Wir wollen wissen, wie man ins Maquis gelangt.«
»Ich weiß nichts von alledem. Ich studiere Medizin.«
»Du musst uns sagen, wo dein Bruder ist. Ihr gleicht euch doch. Weißt du, dass man das deinem Gesicht ansieht? Wenn ich dein Gesicht sehe, sehe ich auch seins. Wie ist es also möglich, dass du nicht weißt, wo er ist?«
Der junge Mann schüttelt den Kopf. Er weint mehr vor Verzweiflung als vor Schmerz oder Angst.
»Ich weiß überhaupt nichts. Ich studiere Medizin. Ich interessiere mich nur für mein Studium.«
»Ja, aber du bist der Bruder deines Bruders. Und er ist im Maquis. Du weißt ein bisschen, etwas in dir gleicht ihm doch, und das weiß, wo er ist. Und das verheimlichst du uns. Das musst du uns sagen.«
Mariani setzt sich, breitet die Hände aus und gibt seinen Hunden ein Zeichen. Sie ergreifen den jungen Mann unter den Armen, schleppen ihn weg. Mariani bleibt unbewegt an seinem Arbeitstisch sitzen, er legt seine dunkle, goldumrandete Sonnenbrille nicht ab. Durch die Lamellen der Fensterläden wirft das Sonnenlicht Streifen auf seinen leeren Tisch. Er wartet, dass sie zurückkommen, wartet auf den Nächsten und die anderen, die in seinem Büro einander ablösen werden, sie werden sagen, was sie wissen, sie werden alles sagen. Daraus besteht seine Arbeit.
Immer wenn Salagnon in die Kellerräume ging, hielt er den Atem an und atmete tief durch, um sich nicht erbrechen zu müssen, solange er sich noch nicht an den Gestank gewöhnt hatte. Schlechte Gerüche nimmt man nicht lange wahr, nur ein paar Atemzüge, dann riecht man sie nicht mehr. Unbestimmbare Geräusche drangen durch die geschlossenen Türen, hallten in den Gewölben, vermischten sich zum Lärm einer Bahnhofshalle, der auf den engen Raum eines Kellers komprimiert wird. In diesen Räumen war einst Wein gelagert worden, sie hatten die Flaschen geleert, die noch da waren, hatten elektrische Leitungen gelegt, nackte Glühbirnen in den Gewölben aufgehängt und mit Mühe Metalltische und Badewannen durch die schmale Treppe hinuntergebracht. Die Uniform der Fallschirmjäger, die unten blieben, war schmutzig, Hose und Ärmel waren durchnässt, und sie hatten die Jacke bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Wenn sie durch die Gänge liefen, schlossen sie die Türen stets sorgfältig hinter sich, sie wirkten abgespannt, ihre Augen traten fast aus den Höhlen, und ihre weit geöffneten Pupillen flößten Angst ein wie ein Brunnenloch. Trambassac wollte sie so nicht sehen. Er verlangte von seinen Männern, dass sie sauber, rasiert und voller Schwung waren; er verordnete ein Paket Waschpulver pro Uniform, und in seinem Beisein musste sich jeder deutlich ausdrücken, sich mit sparsamen Bewegungen begnügen, jeder wusste jederzeit, was er zu tun hatte. Der Presse stellte er untadlige, gelenkige und gefährliche Männer vor, deren scharfe Augen alles sahen, von Algier gleichsam ein Röntgenbild machten, den Feind desmaskierten und ihn im Labyrinth der Körper aufspürten. Doch manche Männer irrten tagelang durch die Kerker, die sich unter der maurischen Villa befanden, und sie flößten sogar den Fallschirmjägeroffizieren Angst ein, die an der Oberfläche blieben, den ununterbrochenen Reigen der Jeeps organisierten, die Verdächtigen festnahmen und die große Übersichtstafel ausfüllten. Jene Männer zeigt man Trambassac nicht; und er verlangte auch nicht, sie zu sehen.
Manche der Verdächtigen, die mit Handschellen hergebracht und von bewaffneten Fallschirmjägern in die Villa gezerrt wurden, fielen fast in Ohnmacht, wenn sie den feuchten Geruch des Kellers spürten und sich im Blick der Lemuren spiegelten, denen sie auf den Gängen begegneten, und deren offene Uniform von fettigem Schweiß bedeckt und vorn durchnässt war. Andere hoben den Kopf, man schloss sorgfältig hinter
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