Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
genaue Form der Weiblichkeit seit Menschengedenken, die Form der Fruchtbarkeit. Du bist fruchtbar, rings um dich herum wächst das Wort; ich höre, wie die Zeit durch dich gleitet, mein Herz, die Zeit ohne Anfang und ohne Ende, wie das Blut, wie der Strom, wie das Wort, das uns durchquert.
Dass du in meinem Alter bist, mein Herz, genau in meinem Alter, ist ein weiterer Grund meiner Liebe zu dir. Die Männer in meinem Alter bemühen sich, von etwas zu träumen, das nicht existiert, sie träumen von einem unbeweglichen Punkt im Lauf der Zeit, einem Stein im Flussbett, einem Stein, der aus dem Wasser ragt und immer trocken bleibt, sich nicht von der Stelle rührt, nie und nimmer. Die Männer in meinem Alter träumen von Gerinnseln und Tod, träumen davon, dass alles irgendwann aufhört, sie träumen von ganz jungen, noch nicht von der Zeit gezeichneten Frauen, die die ganze Ewigkeit noch vor sich haben. Doch die Ewigkeit bewegt sich nicht.
Du kannst dir nicht vorstellen, was ich an dir habe. Die Fältchen in deinen Augenwinkeln, die du manchmal bedauerst und lieber verstecken würdest und die ich dann sofort küsse, sie schenken mir Dauer, pure Dauer. Das verdanke ich Salagnon. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er mir die Zeit wiedergegeben hat, dass er mich gelehrt hat – vielleicht ohne es zu wissen, aber er hat es mir gezeigt –, wie man die Zeit erfasst, wie ich in sie hineinschlüpfen kann, ohne sie zu stören, und mich friedlich auf ihrer nicht umkehrbaren Oberfläche treiben lassen kann; in ihrem Rhythmus, in genau ihrem Rhythmus. Das Geheimnis, flüstere ich dir ins Ohr, das Geheimnis, sage ich ganz leise, während ich an dich geschmiegt liege, das Geheimnis besteht darin, dass ich nicht habe kämpfen müssen, um zu dir zu gelangen. Schätze werden bewacht, aber dich habe ich gefunden, ohne zu kämpfen. »Weil ich dich erwartet habe«, hast du geflüstert. Und diese Antwort erklärt alles; sie hat mir genügt.
Ich nahm sie mit ins Kino; ich gehe gern ins Kino. Von allen möglichen Formen des Erzählens zeigt der Film am meisten und bietet den einfachsten Zugang, da man nur hinzusehen braucht; es ist die am weitesten verbreitete Darstellungsweise. Wir sehen uns dieselben Filme an, wir sehen sie uns zusammen an, die Erzählungen des Kinos sind unsere Gemeinsamkeit.
Ich nahm sie auf dem Weg zum Kino an die Hand, wir setzten uns in die bequemen roten Sessel und blickten gemeinsam zu den großen, leuchtenden Gesichtern auf, die uns etwas erzählten. Man schweigt im Kino. Filme erzählen unwahre Geschichten, die sich in hellem Licht vor uns abspielen, wobei wir uns kaum rühren und nur als dunkle, in mehreren Reihen sitzende Silhouetten existieren, die mit offenem Mund die beleuchteten Gesichter verfolgen, die viel größer sind als unsere und sprechen.
Die Geschichten sind fesselnd, aber es gibt zu viele von ihnen, man vergisst sie bald. Es nützt nichts, immer mehr davon sehen zu wollen, man muss sich fragen, warum sich die Leute ins Kino drängen und warum sie immer wieder unwahre Geschichten sehen wollen. Aber abgesehen davon ist der Film ein Verfahren, um etwas aufzuzeichnen.
Die Kamera, derer man sich bedient – ein kleines Gehäuse –, hält in ihrem Inneren die Bilder dessen fest, was sich vor ihr abgespielt hat. In den Filmen des 20. Jahrhunderts wurden Orte zurechtgemacht, an denen Menschen etwas vor der Kamera spielten. Was gefilmt wurde, hatte, auch wenn es eine Fiktion war, existiert. Wir dagegen sitzen stumm und mit weit aufgerissenen Augen im Kino und sehen in voller Größe und hellem Licht Tote in ihrer ewigen Jugend etwas erzählen, sehen unversehrte Orte auftauchen, die es längst nicht mehr gibt, sehen Städte wieder, die inzwischen zerstört sind, und sehen, wie manche Gesichter anderen Gesichtern, die inzwischen zu Staub zerfallen sind, ihre Liebe zuflüstern.
Der herkömmliche Film wird sich ändern und dürfte bald zu einer kleinen Untergruppe von Zeichentrickfilmen gezählt werden, für diese Filme braucht man keine realen Drehorte und auch keine lebendigen Gesichter mehr, sondern man malt direkt auf den Bildschirm, die Geschichte selbst spielt sich auf dem Bildschirm ab, doch dann betrifft sie uns nicht mehr. Ich habe die schüchternen Anfänge der Filmtechnik leidenschaftlich geliebt, diese Maschine, die Geschichten produziert und etwa zur gleichen Zeit entstand wie die Dampflokomotiven, die Verbrennungsmotoren und das Kabeltelefon, diese physische Maschine, die darauf basierte,
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